Goethe Gesellschaft Gera e.V. » Rückblick

Gebändigt? Ungebändigt? – Goethe und Beethoven

Vortrag von Dr. Arnold Pistiak, Potsdam, am 4. März 2015

Beethoven und Goethe: die unangefochtenen wichtigsten Vertreter ihrer Künste in Deutschland. Vieles stand zwischen ihnen: Ihre Altersdifferenz und die daraus resultierende Zugehörigkeit zu zwei Generationen etwa, ihre Herkunft: Patrizier der eine – Plebejer der andere. Und mit Sicherheit war es dem Weimaraner nicht entgangen, dass Beethoven den schmerzhaften Prozess von Selbstbeschränkung und Anpassung an das Hofleben weder hinter sich hatte noch beabsichtigte, dergleichen Selbst-Kastrationen vorzunehmen.
Zudem mochte ihn Beethovens republikanische, demonstrativ respektlose Haltung gegenüber dem Adel auch an Lenz erinnern, an „diese Schmid, diese Richter, diese Hölderlins“ – an diese Schuberts, diese Kleists, diese Hoffmanns, diese Heines, möchte man hinzufügen: an jene jungen Künstler, deren Lebens- und Kunstauffassung von der seinen beträchtlich abwich. Auch sollten wir die Möglichkeit ganz anders gearteter Anpassungsreaktionen nicht aus dem Auge verlieren, die aus den hier nicht zu diskutierenden, sondern nur als wirkend anzunehmenden genetisch bedingten Charakterunterschieden resultieren mochten.
Und wie sah es mit dem Literatur- und Musikverständnis beider Künstler aus? Einfach scheint die Antwort mit Blick auf Beethoven auszufallen: Er war Musiker, er beschäftigte sich spätestens seit seiner Jugend intensiv mit der Literatur, er bewunderte Goethe. Die überlieferten Aufzeichnungen sprechen eine eindeutige Sprache. „Absicht, trotz dem verfluchter Krieg Ausgaben von Schiller, Göthe” zu kaufen.
Weitaus schwieriger aber ist es, eine angemessene Antwort für den Dichter zu finden. Dass Goethe musikalisch gebildet war, hat Romain Rolland 1930 in seinem wichtigen Buch „Gœthe et Beethoven” überzeugend nachgewiesen: Goethe konnte singen, konnte Noten lesen, hatte Klavier-, in Straßburg auch Cellounterricht, komponierte versuchsweise, besuchte Konzerte und Opernaufführungen; er hatte eine besondere Affinität zu Bach, Händel, Mozart; sorgte als Weimarer Theaterleiter dafür, dass ständig italienische, französische und deutsche Opern gespielt wurden; er beschäftigte sich mit akustischen und musikästhetischen Fragen (Tonlehre, Verhältnis der Dur- und Molltonarten). Vor allem ist, metaphorisch gesagt, sein poetisches Werk voll von Musik. Beethovens Musik aber blieb ihm gleichwohl fern. Warum? Wir können es nicht wissen, sind auf Vermutungen angewiesen. Mir scheinen jedoch die Antworten, die Rolland gab, sehr bedenkenswert. „Alors, Gœthe reconnaît, admirait (si l’on veut) ce grandeur. – Mais il ne l’aime pas.“ Und warum nicht? Dreierlei, meint Rolland, liebte Goethe nicht: „C’est le démesuré. Et c’est la mélancolie romantique“ und: „son oreille ne tolère point le Top de bruit!.“ Vieles stand zwischen ihnen. „Der eigentliche Differenzpunkt aber blieb das Weltverhältnis beider Künstler“, fasst Jochen Golz (Präsident der Weimarer Goethe-Gesellschaft) seine Überlegungen zusammen. Vielleicht wird man auch festhalten dürfen: Der Jüngere trat erst dann ins Blickfeld des Älteren, als der, ein über Fünfzigjähriger, fest entschlossen war, jene „Mauer“ nicht einreißen zu lassen, noch selbst einzureißen, die er mühsam und schmerzhaft genug errichtet hatte, als für ihn notwendige Bedingung der eigenen Produktivität, wenn nicht: seines Lebens überhaupt. Aber die Frage nach den inneren Berührungspunkten beider Künstler zueinander ist damit nicht abgegolten. Die folgenden Überlegungen verstehen sich als ein Schritt in diese Richtung. Sie seien als Versuch verstanden, mit Blick auf beide Künstler ungezwungen über einige Aspekte jener Problematik nachzudenken, die in den Stichworten „gebändigt“ – „ungebändigt“ mitschwingt. So – das ist meine Hoffnung – ist es vielleicht möglich, bereits Bekanntes gelegentlich in anderer, womöglich neuer Beleuchtung zu sehen, zu verstehen und zu genießen. Werfen wir zunächst ganz traditionell einen Blick auf jene legendären Begegnungen beider Künstler im Sommer 1812 in Karlsbad und Teplitz, in Badeorten der deutschen Hocharistokratie. Dazu gibt es eine reichhaltige Literatur, so dass ich mich hier auf einige Andeutungen beschränken kann. Zwei charakteristische und bekannte Zitate vorweg: „Göthe behagt die Hofluft zu sehr mehr als es einem Dichter ziemt, Es ist nicht viel mehr über die Lächerlichkeiten der Virtuosen hier zu reden, wenn Dichter, die als die ersten Lehrer der Nation angesehn seyn sollten, über diesem Schimmer alles andere vergessen können.” (9. August 1812) „Beethoven habe ich in Töplitz kennen gelernt. Sein Talent hat mich in Erstaunen gesetzt; allein er ist leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit, die zwar gar nicht unrecht hat, wenn sie die Welt destabel findet, aber sie freilich dadurch weder für sich noch für andere genußreicher macht. Sehr zu entschuldigen ist er hingegen und sehr zu bedauern, da ihn sein Gehör verläßt, das vielleicht dem musikalischen Teil seines Wesens weniger als dem geselligen schadet. Er, der ohnehin lakonischer Natur ist, wird es nun doppelt durch diesen Mangel.” (2. September 1812) Dieses Treffen war offensichtlich nicht langfristig vorbereitet, jedoch von beiden Partnern gewünscht. Beethoven hatte seinem mehrjährigen Freund Franz Oliva einen Brief an Goethe übergeben, den Oliva am 3. Mai 1811 in Weimar übergab. Beethoven schrieb unter anderem: „Bettine Brentano hat mich versichert, daß Sie mich gütig, ja sogar freundschaftlich aufnehmen würden, Wie könnte ich aber an eine solche Aufnahme denken, indem ich nur im Stande bin, Ihnen mit der größten Ehrerbietung, mit einem unaussprechlichen tiefen Gefühl für Ihre herrlichen Schöpfungen zu nahen.“ Es war kein Zufall, dass Goethe nur wenige Tage später erneut auf Beethoven aufmerksam gemacht wurde – in einem Brief eben von der damals von ihm noch verehrten, wenn nicht: geliebten Bettina Brentano. Beethoven, meinte sie, „ist unbefangen, und reichen Seegen hat er durch Dich, mit allen Kräften einer freien Natur hat er Dich aufgefaßt, er ist ein lebendiger Zeuge Deiner Herrlichkeit.“ Für Goethe war Beethoven im Jahre 1811 kein Unbekannter mehr, aber viel wird er von dem Komponisten kaum gewusst haben, als er beide Briefe erhielt. Er, der gut zwanzig Jahre Ältere, hatte mit Götz und Werther Brandbomben geworfen, als der Andere noch nicht einmal sechs war; Beethoven war noch nicht zwanzig, als Goethe aus Italien zurückkehrte, an eine Werkausgabe ging, sich über Friedrich Schiller ärgerte; als er sich entschloss, allen Anfeindungen und Verleumdungen zum Trotz mit Christiane Vulpius zusammenzuleben. 1811 dann der Besuch aus Wien. Oliva überbrachte nicht nur den Brief, er spielte auch Beethoven. Goethe hat wohl geantwortet. Jedenfalls hat sich ein auf den 25. Juni 1811 datiertes Briefkonzept des Dichters erhalten, in dem es heißt: „[…] ich habe niemals etwas von Ihren Arbeiten durch geschickte Künstler und Liebhaber vortragen hören, ohne daß ich gewünscht hätte Sie selbst einmal am Klavier zu bewundern und mich an Ihrem außerordentlichen Talent zu ergetzen.“ Wir wissen nicht, welche Sonaten Oliva in Weimar gespielt hat – aber die drastischen Abweichungen von der Goethe vertrauten Musik der Mozartzeit sind dem Dichter nicht entgangen. „[…] was so auf der Kippe steht“, habe er bemerkt, „muß sterben oder verrückt werden, da ist keine Gnade…!“ Von Anfang an also muss Goethe Beethoven gegenüber eine ambivalente Haltung eingenommen haben. Ihre Pole: tiefes Verständnis für die artistische und sicherlich auch für die psychologische Seite der Musik Beethovens einerseits – Fremdheit und Distanz andererseits. – Dazu kommt ein anderes: In den Jahren der rasch wachsenden Berühmtheit Beethovens nicht nur als Pianist, sondern auch als Komponist war der enge Gedankenaustausch Goethes mit Carl Friedrich Zelter schon Realität. Mit einem Konservativen also. In diesen Konstellationen mag ein Schlüssel dafür liegen, dass Goethe nach Teplitz Beethoven gegenüber schweigt: Er bedankt sich nicht für die Notensendung von Meeresstille und Glückliche Fahrt – „dem Verfasser der Gedichte: dem unsterblichen Goethe hochachtungsvoll gewidmet“ –, antwortet nicht auf Beethovens Brief vom 8. Februar 1823, schweigt zu dessen Tod. Allerdings gab es auch Gegenläufiges. Egmont und Fidelio wurden in Weimar aufgeführt. In Hauskonzerten, die in Goethes Wohnung stattfanden, erklangen Beethovensonaten. Im Mai 1830 spielte Felix Mendelssohn-Bartholdy dem Achtzigjährigen den ersten Satz der 5. Sinfonie auf dem Klavier vor. „An Beethoven wollte er gar nicht heran“, berichtete Mendelssohn seiner Familie und fuhr fort: Das Stück „bewegte ihn ganz seltsam; er sagte erst ´das bewegt aber gar nichts; das macht nur staunen; das ist grandios [´], u. dann brummte er so weiter u. fing nach langer Zeit wieder an: das ist sehr groß, ganz toll, man möchte sich fürchten, das Haus fiele ein; und wenn das nun Alle die Menschen zusammenspielen! Und bei Tische mitten in einem anderen Gespräch fing er wieder damit an.“ Ganz anders liegen die Verhältnisse bei Beethoven: Die Bonner Familie Breuning, in der Beethoven verkehrte, war literaturinteressiert, und Beethoven hatte ab 1788 Kontakte zu der Bonner Lesegesellschaft; es gab Theateraufführungen nicht nur am Hoftheater (an denen er als Bratscher mitwirkte), sondern auch von wandernden Theatergruppen; wenige Jahre später schreibt er Lieder zu Goethetexten, und die erste Nachricht, derzufolge er an einer Komposition von Schillers An die Freude arbeitete, datiert vom 26. Januar 1793. Auf den Werther bezieht sich Beethoven in jenem verzweifelten, vermutlich 1812 geschriebenen Liebesbrief, der unter dem Titel „An die unsterbliche Geliebte“ in die Beethoven-Literatur eingegangen ist. Bis zu dem Treffen von 1812 schuf Beethoven mehrere Lieder zu Goethetexten und die Schauspielmusik zu dem „herrlichen Egmont“, und auch die nach dem Sommer 1812 entstandenen Kompositionen Beethovens auf Goethetexte sind auf den gleichen Ton gestimmt: die Chorstücke Meeresstille und Glückliche Fahrt; die Umarbeitung des Jahrzehnte zuvor komponierten Bundeslieds, das Beethoven nun mit einem eindrucksvollen, lebendigen Holzbläsersatz ausstattete; die dreimalige Vertonung der Eröffnungsverse von Goethes Das Göttliche: als Stammbuchblatt, als Klavierlied, als 6-stimmiger Kanon. Kurz: Die in Beethovens Brief vom 12. April 1811 ausgedrückte Goethe-Verehrung wird man nicht in Zweifel ziehen müssen. Selbst Jahre später, 1823, als der Komponist sicherlich wusste, dass es keinen Grund gab, an der künstlerischen Ebenbürtigkeit von Goethe und ihm selbst zu zweifeln, schrieb er an den Dichter: „Einige Worte von Ihnen an mich würden Glückseeligkeit über mich verbreiten. – Euer Exzellenz mit der innigsten unbegrenztesten Hochachtung verharrender Beethoven.“
Heidnisch-Pantheistisches. Ein zentraler Bezugspunkt zwischen dem Dichter und dem Musiker war beider Umgang mit dem Prometheusmythos. Goethes Prometheus-Gedicht von 1774 wie auch das gleichnamige Stückfragment, dem es zugeordnet werden sollte, standen im Kontext einer raschen und vertieften Neuerschließung des antiken Kulturguts. – Stichwortartig erinnert sei etwa an die sensationellen Funde von Pompeji und Herculaneum, an die wenig später beginnenden Ausgrabungen auch in Griechenland (Olympia, 1787), die explodierende Sammeltätigkeit und die Einrichtung von Antikenkabinetten, die kleinen Schriften wie auch die monumentale Geschichte der Kunst des Altertums Johann Joachim Winckelmanns, die ästhetischen Feldzüge Lessings und Herders, deren Kampf gegen die Gottschedsche Variante des französischen Klassizismus und die zunächst punktuelle, dann immer intensivere Aneignung der Werke Shakespeares. Es gehörte zu den kämpferischen Versuchen, neues, bürgerliches, aufklärerisches Selbstbewusstsein zu artikulieren, innerhalb derer Herder notierte, Prometheus habe „unter den Griechen den Feuerfunken des Genies vom Himmel gestohlen“. Nur zehn Jahre später ließ der junge Schiller, ohne Goethes Gedicht kennen zu können, Karl Moor verzweifelt ausrufen: „Der hohe Lichtfunke Prometheus ist ausgebrannt.“ Indem aber Goethe seinerseits mit einem gigantischen, kühnen Griff das Feld: Philosophie – Natur – Gott – Religion – Pantheismus – Materialismus – Schicksal exponierte, war sein Gedicht in Gedanke und Sprache radikaler als alle anderen vergleichbaren zeitgenössischen Äußerungen zu Prometheus. Von Lessings Abhandlungen unterschied sich sein Prometheus unter anderem durch seinen leidenschaftlichen Sprachgestus; gegenüber den Auffassungen der französischen Materialisten besaß Goethes nicht-materialistische Position den Vorteil, dass sie in Deutschland nicht von vornherein abgelehnt wurde. Allerdings hatte Goethe das Gedicht jahrelang geheim gehalten. Fürchtete er – inzwischen Weimarer Minister geworden – die Auseinandersetzung, den Eklat? Vermutlich. Aber er hatte es seinem Jugendfreund Friedrich Heinrich Jacobi gegeben (nebenbei bemerkt: zu welchem Zweck, weshalb eigentlich?), der es 1785 ohne Einverständnis des Autors in einer Schrift mit dem provokanten Titel „Über die Lehren des Spinoza“ auf einem eingelegten Blatt abdruckte. Dass Prometheus dann zum „Zündkraut einer Explosion“ wurde, wie Goethe Jahrzehnte später im 15. Buch von Dichtung und Wahrheit vermerkte, dass dieses Gedicht ein Ärgernis war, als es 1785 erschien, und bis heute ein Ärgernis geblieben ist, dürfte unbestritten sein. Was die „Explosion“, was die andauernden Angriffe auf Goethe, die auf ihn zielenden Verleumdungen auslöste, war die demonstrative Einnahme eines religiösen Standpunktes, der weder biblisch-traditionell noch atheistisch akzentuiert war und der den Glauben an einen Schöpfergott ersetzte durch den Glauben an die Identität von Gott und Natur oder auch, mit Goethes Worten, an das „Göttliche“ im Menschen. Der dort auf der Erde saß und, ein Lehm verarbeitender schöpferischer Bildhauer, ein Künstler also, Menschen nach seinem Bilde formte, sah keinen Grund mehr, Zeus zu respektieren: Nicht der frühere Gefährte: er selbst, Prometheus, war ja jetzt produktiv! Mündig geworden, kein „Kind“ mehr, wendet er nun nicht mehr sein „verirrtes Aug’/ Zur Sonne, als wenn drüber wär’/ Ein Ohr“ [kursiv: A.P.]. Und vor allem: „Zeit und Schicksal“ sind nun beider Herren: Die universalen Gesetzmäßigkeiten können nicht mehr willkürlich von nur einer Seite in Anspruch genommen werden: Sie dominieren alles – uns alle. Diese Entwicklungen können Beethoven kaum fremd gewesen sein. Der 19-Jährige, der sich an der Universität Bonn einschrieb, kann weder an Prometheus, an Das Göttliche oder dem Faust-Fragment noch, ein Schiller-Fan, an den Göttern Griechenlands und jenen heftigen Auseinandersetzungen vorübergegangen sein, die im Anschluss an die Veröffentlichung des Prometheus geführt wurden. Es war auch dieser zeitgenössische Kontext, in den sich Beethoven stellte, als er sich um 1800/1801 entschloss, die Musik zu dem heroischen Ballett „Die Geschöpfe des Prometheus“ zu komponieren. Überhaupt hat Beethoven nicht nur mit dem Rückgriff auf den Prometheusmythos, sondern auch mit der Ouvertüre zu Coriolan, mit der Schauspielmusik Die Ruinen von Athen sowie insbesondere mit seinem Opferlied (Text: Friedrich von Matthisson) tendenziell „Heidnisches“ zum Klingen gebracht. „Dieses Gedicht begleitete Beethoven sein halbes Leben […]“, schreibt Hans-Josef Irmen, und er nennt es ein „pseudo-freimaurerisches Lied“, das „von metaphysischer Wärme durchglüht ist und dem Humanitätsstil der Zauberflöte huldigt.“ Und in der Tat: Poetisches Bildmaterial, das, wiewohl germanisch gefärbt, zugleich mit jenem verwandt ist, das Goethe in seinem West-östlichen Divan benutzt (im Buch des Parsen); der Appell an den „Höchsten“, das gespendete Opfer anzunehmen; die ausdrücklich an Zeus gerichtete Bitte, „mir“ das „Schöne zu dem Guten“ zu gewähren, und zwar „als Jüngling“ wie „als Greis“: das alles ist klar und deutlich – und dies um so mehr, da Beethoven dieses Lied insgesamt viermal bearbeitet hat. Der Anrufung des Heidengottes entspricht der mehrfache Bezug auf ein durchaus antik verstandenes „Schicksal“ in Briefen und mündlichen Äußerungen Beethovens: „Zeige deine Gewalt Schicksal! Wir sind nicht Herrn über uns selbst; was beschlossen ist, muß sein, und so sey es dann!“ Und doch: Wenn auch um 1800 jedem Bezug auf die griechisch-römische Antike zumindest ein Moment des „Heidnischen“ anhaftet, so drängt sich gleichwohl die Frage auf, ob das Pantheistische bei Beethoven einen ähnlichen Stellenwert einnimmt wie bei Goethe? Die Frage wird man verneinen müssen. Dafür spricht schon jene bekannte Briefpassage, in der Beethoven mit Blick auf seine Taubheit an seinen Freund Franz Wegeler nach Bonn schreibt: „ich habe schon oft den schöpfer und mein daseyn verflucht, Plutarch hat mich zu der Resignation geführt, ich will wenn’s anders möglich ist, meinem schicksaal trozen, obschon es Augenblicke meines Lebens geben wird, wo ich das unglücklichste Geschöpf gottes seyn werde.“ Gleichwohl dürften damit die tief sitzenden aufklärerischen Zweifel des Komponisten kaum behoben worden sein. Wie anders ließe es sich erklären, dass Beethoven in der „Neunten“ auf jenen, ihn Jahrzehnte lang begleitenden Text zurückgreift, in dem die „Freude“ dem heidnischen „Elysium“ entstammt und in dem den beschwörenden Worten „muß er wohnen“ der Zweifel eingeschrieben ist? Zu dieser Vermischung von Christlichem und Heidnischem gesellt sich zudem Rein-Biblisch-Religiöses: „Doch gerecht ist Gottes Wille“, singt Florestan im Kerker, und zwar zu identifikatorischer Musik, und „Ja, ja, es ist eine Vorsehung!“ ergänzt Leonore; Beethoven nimmt damit eine Haltung ein, die man bei Goethe vergeblich suchen dürfte. Jedenfalls scheint dem Katholiken Beethoven jener konsequente Pantheismus fremd gewesen zu sein, der Goethe veranlasste, zielgerichtet nach dem Zwischenkieferknochen zu suchen, dem noch ausstehenden „Schlussstein“ zu einer entwicklungsgeschichtlichen Einordnung der Gattung Mensch in die Ordnung der Säugetiere. Goethe, nachdem er den gesuchten Knochen gefunden hatte, schrieb freudig an Herder: „Es soll dich auch recht herzlich freuen, denn es ist wie der Schlußstein zum Menschen, fehlt nicht, ist auch da! Aber wie! Ich habe mirs auch in Verbindung mit deinem Ganzen gedacht; wie schön es da wird. – “. Mit dieser Notiz Goethes wird zugleich eine Problematik angedeutet, die, so weit ich sehe, in den vergleichenden Betrachtungen zu Beethoven und Goethe bislang kaum erwähnt wurde. Ich meine den Umgang beider Künstler mit dem Satirischen. Dabei sei vorausgesetzt, dass „Satirisches“ nicht mit der Ebene des freundlich oder bärbeißig daherkommenden Humors identifiziert werden sollte, die in vielen Kompositionen Beethovens zu finden ist – mit diesen häufigen ruppigen Szforzati, diesen Synkopen und Taktverschiebungen, dem verspäteten Einsatz der Oboe in der Pastorale, oder der „polternden“ Ausgelassenheit der Wut über den verlorenen Groschen. Dies vorausgesetzt, kommt der neugierige Blick zu einem verblüffenden Ergebnis: Satirisches im eigentlichen Sinn – als scharfe, verlachende, distanzierte Gesellschaftssatire – finden wir bei Beethoven offensichtlich nur ein einziges Mal, in dem Flohlied aus der Szene „Auerbachs Keller“ (op. 75). Hingegen fehlt freundlich-harmlos-heitere Komik in der Art Beethovens bei dem reifen (nach-italienischen) Goethe weitgehend. Stattdessen blieb eine scharfe, satirisch formulierte Feudal- und Kirchen- (nicht aber: Religions-) Kritik für Goethe lebenslang ein wichtiges literarisches Thema; die Texte des „Großen Heiden Nummer I“ quellen davon geradezu über. Durchaus grotesk ist beispielsweise das Auftreten der „Pfaffenchristen“ in der wenig bekannten dialogischen Ballade „Die erste Walpurgisnacht“. In Briefen an Zelter (3. Dezember 1812) und Mendelssohn Bartholdy (9. September 1831) versuchte Goethe später, deren drastische Zielrichtung herunterzuspielen. „Der Einfall gefiel mir“, schrieb er mit Blick auf eine nicht genannte Quelle an Zelter; aber nicht der „Einfall“, sondern die Struktur des Textes ist ausschlaggebend: Die ihr Land und ihre Kultur verteidigenden („heidnischen“) Germanen, denen Goethe pantheistische, in seinem späteren Parsengedicht wieder aufgenommene Motive zugeordnet hat (Allvater, Rauch, Licht), sind durchgehend positiv, die sie attackierenden „Pfaffenchristen“ ebenso durchgehend satirisch-grotesk dargestellt. Der in dem Wechselgesang der Germanen formulierten kämpferischen Losung „Diese dumpfen Pfaffenchristen, Laßt uns keck sie überlisten!“ haben jene nur Drohungen der Gewalt und schließlich eine alberne Flucht entgegenzusetzen. Wer Opfer scheut, sagt das Gedicht, verdient seine Knechtschaft zu Recht. Und unausgesprochen schwingt die Frage mit: Was wird historisch aus diesem staatlich etablierten Christentum, aus diesem vorgeblich Neuen, das auf Brutalität, Aberglauben, Nichtwissen gegründet ist, werden? Der junge Mendelssohn übrigens, der sich mit der Komposition der Ballade ab 1830 beschäftigte, mag die „heidnische“ Tendenz des Goetheschen Textes nur am Rande wahrgenommen haben. Aber der Komponist des Lobgesangs oder des Elias, der die Kantate 1841 bis 1843 umarbeitete, kann das Nicht-Christliche, „Heidnische“ der Vorlage wohl nicht übersehen haben, hat es aber letztlich unbeachtet gelassen. Warum? Das ist ein anderes Thema. Jedenfalls verlieh er ganz im Sinne des Textes dem Schlusschor „der Druiden und des Heidenvolks“ hymnische Züge: Mendelssohn. Mit einem hymnischen Lobgesang endet auch Beethovens Schlusschor zu Kotzebues Stück „König Stephan“, das im Umkreis der „Befreiungskriege“ entstand und sich auf die Christianisierung Ungarns bezieht. Aber Kotzebue und Beethoven nehmen in diesem Festspiel eine genaue Gegenposition zu Goethe ein: Der hymnische, geradezu ekstatische Preis gilt nicht den „Heiden“, sondern – um mit Goethe zu sprechen – deren „Überwindern“, jenen, die die Christianisierung vorantrieben und durchsetzten.
Die religionsphilosophische Position des Prometheus-Gedichts ist das Eine – die in ihm artikulierte produktiv-schöpferische Kraft das Andere. Jenes berühmte „Im Anfang war die Tat“ galt zugleich dem mythologischen antiken Helden. Auch dadurch unterschied sich Goethes Prometheusfigur von anderen poetischen Figuren der „Genieperiode“; wie auch die ihr verwandte Goethesche Faustfigur geht sie über jene hinaus: Denn Götz, Prometheus und Faust räsonieren nicht nur (wie etwa Ferdinand in „Kabale und Liebe“), sondern entwickeln die (utopische) Alternative der Entfaltung der menschlichen Schöpferkraft. Hier ist bereits in der Vor-Weimarer Zeit etwas angelegt, was dann, bestärkt durch das Italienerlebnis, zu einer zentralen Dominante der Goetheschen Weltkonzeption werden wird: Das der Prometheuskonzeption anhaftende Aggressive – das Subjektivistische, „Geniehafte“, Maßlose, Militante, Machtpolitische – wird zugunsten des Produktiven, Schöpferischen immer weiter reduziert werden. Schon Werther hatte ja die „Einschränkung“ beklagt, „in welcher die tätigen und forschenden Kräfte des Menschen eingesperrt sind“ (22.5.71), und den Wunsch nach Entfaltung der Kräfte ausgesprochen, die in ihm ruhen, „die alle ungenutzt vermodern und die ich sorgfältig verbergen muß. Ach, das engt das ganze Herz so ein –“ (17.5.71). Den früh eingeschlagenen Weg, die Entfremdung der Arbeit kritisch zu reflektieren, verfolgte Goethe bis zu seinem Tod. Der Große Einzelne, das selbstherrlich handelnde Universalgenie, wird mit der Unterordnung Egmonts unter die „Sonnenpferde der Zeit“ oder mit der Akzeptanz der „ewigen, ehrnen/ Großen Gesetze“ (Das Göttliche) verabschiedet. Die Erfahrungen der Französischen Revolution verstärkten diese Tendenz ebenso wie die Zuwendung zur antiken Maß-Konzeption und die Suche nach „Gesetzen“ in der Gesellschaft und in der Kunst. Das, was an die Stelle der Heroisierung des einzig aus sich heraus handelnden Kraftgenies tritt, ist die Frage nach den Möglichkeiten schöpferischer Produktivität im Alltag, ist die Kooperation der produzierenden Individuen, ist die kleine, private oder auch die große weltumspannende praktische „Tat“ – die Umgestaltung eines Parks („Die Wahlverwandtschaften“); die Rettung von Menschen aus dem Hochwasser („Johanna Sebus“); die Ausbildung eines Menschen, der zunächst unbedingt Schauspieler werden wollte, zu einem Arzt („Wilhelm Meister“); die Entwässerung von Sümpfen („Faust“); „Schwerer Dienste tägliche Bewahrung“ („Vermächtnis altpersischen Glaubens“). Oder anders gesagt: Es ist in hohem Maße der Reflex der anbrechenden Industrialisierung und der damit verbundenen evolutionären wie revolutionären Umgestaltung des gesamten Gefüges der Gesellschaft. „Und schreib getrost: Im Anfang war die Tat“. Die Prämisse Fausts war – wenn ich die Werke Beethovens richtig höre – auch die des Komponisten. Aber in seinem Umgang mit der Prometheus-Problematik wird auch eine der großen Divergenzen zwischen Goethe und Beethoven sichtbar: Denn die weltverändernde „Tat“ hatte bei Beethoven nur gelegentlich etwas mit der Dimension der Produktion zu tun. Zwar interessiert er sich für Flugversuche wie für die „schon gegenwärtige Dampf-Schifffahrt“ und fragt verallgemeinernd, „was für ferne Schwimmer wird’s da geben, die unß Luft u. Freyheit verschaffen?!-“ Aber weder eine an Therese Malfatti gerichtete Frage („Haben sie Göthes Wilhelm Meister gelesen“) noch – und darauf kommt alles an – seine Werke lassen erkennen, dass Beethoven der materiellen Produktion oder dem Prozess der Industrialisierung eine besondere Bedeutung beigemessen hätte. Beethovens „Botschaft“, die mit seiner Prometheus-Musik verbunden ist, lautet anders: Es ist die demonstrativ, die beispielhaft vorgetragene Überzeugung, dass es möglich sei, auch „in diesen wüsten Zeiten“ nicht nur auf dem Lyrisch-Verträumten oder dem Humorvollen zu bestehen, „Dissonanzen“ nicht aufzulösen, sondern auch und immer wieder eine entschieden kämpferische Haltung einzunehmen. Nichts davon klingt allerdings an, wenn das berühmte Doppelthema, das als konzentrierter Ausdruck von Beethovens Prometheus-Musik verstanden werden darf, um 1801/ 1802 erstmalig auftritt. Leicht kommt es daher, locker, ein wenig spielerisch oder auch zärtlich, und zwar sowohl im Ballett-Finale „Die Geschöpfe des Prometheus“ (op. 43) wie auch in den 12 Contretänze(n) für Orchester (WoO 14, siebter Tanz). Noch weist nichts darauf hin, welche unbeschreiblichen Energien Beethoven ihm abgewinnen wird. Anders dann die Behandlung des Doppelthemas in den anspruchsvollen Klaviervariationen Es-Dur op. 35 sowie im 4. Satz der Eroica. Der musikalisch eher harmlose Preis des Prometheus in dem Finale des Balletts genügte Beethoven also nicht: Offensichtlich ging es ihm in den Klaviervariationen wie in der „Eroica“ darum, dem Thema samt seinen Variationen nun völlig neuartige, weitreichende Dimensionen abzugewinnen: über das Spielerische, Tänzerische, Zärtliche, Freudige hinaus auch die Haltung des Heroisch-Pathetischen, Majestätisch-Kämpferischen. Beide Werke, insbesondere die im Verhältnis zu ihren Vorläuferinnen gigantisch erweiterte, die Normen sprengende „Eroica“, atmen nun den gleichen Geist wie die Prometheus-Dichtung Goethes: Kein Gott – Prometheus ist der Schöpfer seiner „Geschöpfe“. Während aber Goethe seit der Mitte der siebziger Jahre von dem rebellischen Potenzial des eigenen Gedichts abrückte, knüpfte Beethoven gerade daran an und radikalisierte es, indem er die menschenbildende Kraft des Prometheus erneut bestätigte und pries: Nicht nur der vierte, „prometheische“ Satz der Sinfonie, sondern auch deren erster und zweiter Satz werden von sich allmählich aufbauenden großen Klangballungen bestimmt, von den mehrfach auftretenden drastischen Dissonanzen sowie von dem Anknüpfen an den Typus der Marschmusik aus der Zeit der Französischen Revolution und dessen Integration in den ersten und vierten Satz der Sinfonie. Zudem intoniert der im zweiten Satz erklingende Trauermarsch das heroische Pathos eines großen Verlustes. Die Interpretationsspielräume sind gewiss offen. „Marcia funebre sulla morte d’un Eroe“ schreibt Beethoven über den zweiten Satz seiner 1800/1801 entstandenen Grande Sonate As-Dur (op. 26) und deutet damit einen Dimension an, die wir nicht übersehen sollten. Drei Jahrzehnte später scheint genau diese Problematik in Heinrich Heines Prosagedicht „Ich bin das Schwert, ich bin die Flamme“ anzuklingen: „Rund um mich her liegen die Leichen meiner Freunde, aber wir haben gesiegt. Wir haben gesiegt, aber rund umher liegen die Leichen meiner Freunde.“ Ganz unabhängig von mündlichen und schriftlichen Äußerungen Beethovens gestattet die heroisch-pathetische Konzeption der ganzen Sinfonie die Feststellung: Nicht die Zurückweisung oder gar die Aufgabe des „Revolutionären“ zugunsten des „Evolutionären“ und „Pragmatischen“ ist in der Sinfonia „Eroica“ zu hören, sondern die Beibehaltung des Prometheischen und dessen Verknüpfung mit dem Konkret-Revolutionären und Visionären. Und zwar geschieht das wegen und trotz der „neuangehenden christlichen Zeiten“, „da sich alles wieder in´s alte Gleiß zu schieben sucht, buonaparte mit dem Pabste das Concordat geschlossen“, da die „Zeit des Revolucionfieber´s“ vorüber ist! Anders gesagt: Was sich hier vollzieht, ist eine spezifische Verknüpfung von antiken Mythen, aufklärerischen Hoffnungen und nachrevolutionärem Tatbewusstsein, von Französischer Revolution und Menschheitsgeschichte; es ist die klingende Realisierung dessen, was Romain Rolland ein „republikanisches Glaubensbekenntnis“ genannt hat.
Zu der Frage nach dem Umgang mit dem Prometheischen nach 1800 gehört auch die Frage nach dem Umgang mit der weltgeschichtlichen Persönlichkeit Napoleon. Dabei geht es mit Blick auf Beethoven sicherlich zunächst um die Es-Dur-Sinfonie: Hatte der Komponist während der Komposition (tatsächlich) zugleich an Napoleon gedacht? Noch am 26. August 1804, nur drei Monate vor der Kaiserkrönung (2. Dezember 1804), schreibt Beethoven an Breitkopf & Härtel: „die Simphonie ist eigentlich betitelt Ponaparte“. Aber hatte er von Anfang an beabsichtigt, diese Sinfonie und Napoleon explizit in Verbindung zu bringen? Verknüpfte er intentional seinen Republikanismus mit der welthistorischen Napoleon-Figur? Die nüchterne Antwort kann wohl nur lauten: Wir wissen es nicht. Belege fehlen. Klar ist jedoch: Wir können Beethovens Republikanismus ‘hören‘; was wir nicht hören können, ist ein in die Sinfonie integriertes Moment der Abgrenzung von Napoleon. Erst nach der Kaiserkrönung entwickelte sich jener schmerzhafte Zwiespalt, den Beethoven bewusst durchlebte und bewundernswert bewältigte: Bewahrung von Revolutionsbegeisterung und Republikanismus einerseits – Verurteilung der napoleonischen Eroberungspolitik andererseits. Die Titelblatt-Legende mag als erhellendes Kuriosum gelten; unabhängig davon aber äußert sich in Beethovens Werken nach 1804 seine Haltung gegenüber Napoleon in Anderem: Der auch nach 1804 hörbare heroisch-euphorische Lobgesang, gerichtet auf eine universell verstandene, revolutionär-aktiv zu erreichende Befreiung, wird nun mit der Verurteilung der napoleonischen Eroberungspolitik verbunden. Es scheint mir, dass beides in eins zusammenfällt. So ist klar, dass die Konzeption der Oper „Leonore/ Fidelio“ trotz der lächerlichen Geschichte von dem rechtzeitig eintreffenden Minister ohne den Atem der Großen Revolution schlechthin undenkbar ist. Die Freiheitssehnsucht Florestans und der übrigen Gefangenen wie auch die Tat Leonores und das an ihr festgemachte „Hohelied der Gattenliebe“ funktionieren nur in diesem Kontext. Zugleich darf nicht übersehen werden, dass, was die Dynamik der Handlung angeht, buchstäblich alles – von den vier Ouvertüren bis zum Finale – in der Befreiung von einem Tyrannen kulminiert: Das ist das, was ich unter dem „Zusammenfall“ von Revolutionsbegeisterung und Abgrenzung von Napoleon verstehe. Ganz anders gelagert und gleichwohl ähnlich ist die Egmont-Musik (1810): Hier geht es, wenn auch keineswegs ausschließlich, sehr direkt um das Problem der nationalen Befreiung und Selbstbestimmung (wieder spielt übrigens eine Frau eine wichtige Rolle). Intonation und Haltung der „Siegessymphonie“ aber korrespondieren eng mit dem heroisch-kämpferischen Schlusssatz der Fünften Sinfonie. So verwandelt Beethovens Egmont-Musik – insonderheit natürlich die Ouvertüre, das erste Lied Klärchens und die abschließende Siegessymphonie – das frühklassische tragische Schauspiel um Möglichkeiten und Grenzen individueller Selbstbestimmung tendenziell in ein antinapoleonisches Stück, in dem das nicht aufgegebene Freiheitsethos Beethovens und sein Glaube an einen möglichen Sieg über die (nicht nur napoleonische) Tyrannei utopisch zusammenklingen. In Bezug auf die „Befreiungskriege“ und die mit ihnen verbundene nationale Problematik jener Jahre empfand sich Beethoven offensichtlich eine Zeit lang als eingreifender Künstler – Goethe hingegen nicht. Gerade diesem Feld gegenüber verschrieb er sich die Haltung des zurückhaltenden, skeptischen, distanziert blickenden, nüchtern analysierenden, philosophischen Beobachters. Weder die napoleonische Eroberungspolitik noch die Kaiserkrönung von 1804 dürften bei ihm tiefgehende Hoffnungen oder Enttäuschungen verursacht haben. Wie immer man seine Huldigungsgedichte auf Napoleon und dessen Gattin beurteilen mag – auch sie gehören zur Haltung Goethes, und sie verleugnen die Faszination nicht, die von dem Kaiser der Franzosen auf ihn ausging: „Was Tausende verwirrten, löst der Eine“, heißt es in „Im Namen der Bürgerschaft von Karlsbad“. Ja, Goethe verwendet motivisches Material (Meer, Erde, Ufer), das er dann zwei Jahrzehnte später in den Zweiten Teil des Faust einarbeiten würde: „Worüber trüb Jahrhunderte gesonnen, Er übersieht’s in hellstem Geisteslicht, Das Kleinliche ist alles weggeronnen, Nur Meer und Erde haben hier Gewicht; Ist jenem erst das Ufer abgewonnen, Daß sich daran die stolze Woge bricht, So tritt durch weisen Schluß, durch Machtgefechte Das feste Land in alle seine Rechte“. Vermutlich setzte er nach und nach auf eine sich mit Notwendigkeit vollziehende Niederlage Napoleons. Und sicherlich erkannte er, nach wie vor in „Hofluft“ agierend, im Unterschied zu den begeisterten, naiven, maßlosen Sängern des antinapoleonischen Kampfes, dass die „Befreiungskriege“ wesentlich ein Gemenge unterschiedlicher, ja divergierender Interessen darstellten; dass die machtpolitischen Interessen der Herrschenden das Eine waren, die reine „vaterländische“ Begeisterung der kleinen Leute aber das ganz Andere. Zudem musste der geschürte Nationalismus und Chauvinismus dem Weltmann Goethe unangenehm sein, dem weitblickenden Intellektuellen, der bereits über das nachdachte, was er später „Weltliteratur“ nennen würde. „Übermacht, ihr könnt es spüren, Ist nicht aus der Welt zu bannen; Mir gefällt zu konservieren Mit Gescheiten, mit Tyrannen“. An wen Goethe auch denken mochte, als er diese Verse schrieb – sein dreimaliger Gedankenaustausch mit dem wirklichen Mächtigen schwingt hier sicherlich mit. Nicht nur über den Werther und die tragische Kunst hätte der Kaiser der Franzosen mit Goethe gesprochen, sondern auch über Weltpolitik. „Was will man jetzt mit dem Schicksal, die Politik ist das Schicksal“ – gleichgültig, ob Napoleon das späterhin geflügelte Wort wirklich so formuliert hat oder ob es ihm Goethe bei der Niederschrift seiner Erinnerungen an das Gespräch von 1806 in den Mund gelegt hat: „Politik ist das Schicksal“ – das ist eine präzise Zusammenfassung jenes (politischen) Chaos, über das Goethe immer wieder nachgedacht hat. „Wie lange wirst du noch Kaiser sein, wann wirst auch du untergehen?“, mochte Goethe sich gefragt haben, als er Napoleon in Erfurt und Weimar aus nächster Nähe beobachten konnte – fünf Jahre, bevor dessen „Politik“ dann tatsächlich sein „Schicksal“ wurde, seine wirkliche Niederlage, seine wirkliche Vertreibung. Goethe reflektiert diesen weltgeschichtlichen Vorgang rückblickend im „West-östlichen Divan“ mit der gnadenlosen Verurteilung des „Tyrannen“ Timur durch den Winter: „Hör’ es Gott, was ich dir biete! Ja bei Gott! von Todeskälte Nicht, o Greis, verteid’gen soll dich Breite Kohlenglut vom Herde, Keine Flamme des Dezembers.“ Die mythologische, verfremdende Darstellung verdeutlicht, dass es Goethe um weit mehr ging als darum, in die Welle der Verurteilung Napoleons einzustimmen: Vielmehr ist „Der Winter“ und „Timur“ durchaus ein weiterer seiner nicht ablassenden Versuche, sich an den großen Einzelnen der Weltgeschichte abzuarbeiten – vorgenommen etwa in „Götz von Berlichingen“, in weiten Partien des Zweiten Teils der Faust-Tragödie, in dem Umgang mit dem Prometheus-Mythos, in „Egmont“. Immer ging es – auch – darum, das ‘Wesen’ des Einzelnen zu erfassen, die seine Persönlichkeit bedingenden Konstellationen, das Widerspruchsgefüge, innerhalb dessen er sich bewegt, seine Handlungsmöglichkeiten, seine Stellung in der Weltgeschichte. Noch 1829 habe er zu Eckermann gesagt, die Dämonen stellten, „um die Menschheit zu necken“, gewaltige Figuren hin: Raffael, Mozart, Shakespeare, Napoleon (6. Dezember). Den Zyklus „Urworte. Orphisch“ können wir wahrscheinlich als ein zentrales Ergebnis der geistigen Auseinandersetzung mit dieser Problematik betrachten – den gesamten Zyklus, meine ich, nicht aber die isoliert herausgegriffene Kategorie des „Dämonischen“.
Gestatten wir uns nun einen Blick auf ein Feld, das mit Stichworten wie Partnerbeziehung, Liebe, Erotik nur höchst notdürftig angedeutet werden kann. Ich möchte allerdings lediglich einen einzelnen Aspekt herausgreifen: den Umgang beider Künstler mit dem Erotisch-Sinnlichen – einen Umgang, der widersprüchlicher kaum gedacht werden kann. Was Goethe betrifft, so wissen wir heute, dass er vielerlei und sehr verschiedenartige Beziehungen zu sehr verschiedenen Frauen hatte – Beziehungen, die zumindest annähernd mit seinen jeweiligen poetischen Texten korrespondierten. Auch wenn es keine Belege gäbe – die verschiedenen Ausprägungen des Goetheschen „Amour“-Sprechens sind unüberhörbar: die frühen Leipziger anakreontischen Gedichte und Theaterstücke, die hochgestimmte Sprache der Straßburger Lyrik und der „Leiden des jungen Werthers“, die Milde und Verinnerlichung der Sprache im ersten Weimarer Jahrzehnt, die in der nachitalienischen Zeit gewonnene souveräne Verknüpfung dieser Haltung mit freizügig-erotischem Sprechen einerseits, mit Weltbezügen andererseits; das leise ironische Sprechen in „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ und „Die Wahlverwandtschaften“. Die Vielfalt und Intensität des Goetheschen Amour-Diskurses, wird man sagen dürfen, kann uns eine Ahnung von der Vielfalt und Intensität der wirklichen, „konkreten“ Partnerbeziehungen des Dichters vermitteln. Dabei wird das Erotisch-Sexuelle immer als wesentliches, geradezu zentrales Element des Menschlichen begriffen; niemals wird es, soweit ich sehe, im Zusammenhang mit der Werkidee eines beliebigen Textes irgendwie denunziert. Das beginnt in Goethes früher Lyrik (etwa mit der Verletzung des „Knaben“ im Heidenröslein) und ist in den folgenden Jahrzehnten allenthalben zu finden. An die „Römischen Elegien“ wäre hier zu denken, an die auf erotische Aktivität zielende Verwandlung Fausts („Mit diesem Trank im Leibe“), aber auch an das die Normen überschreitende „unmoralische“ Verhalten Gretchens Faust gegenüber. Hier noch ein Hinweis auf zwei weniger bekannte „sittenwidrige“ Szenen aus Goethes Romanen: zunächst auf den geheimnisvollen nächtlichen Besuch bei Wilhelm – auf einen Vorgang, der in der Wirkungsgeschichte der „Lehrjahre“ wohl nicht zufällig eine eher untergeordnete Rolle spielt und der mit Philines erstaunlichem Satz „und wenn ich dich liebhabe, was geht’s dich an?’“ korrespondiert. Dann aber auf eine Szene aus dem Roman „Die Wahlverwandtschaften“, in der der souveräne Erzähler ins Innere der Romanfiguren blickt – auf eine Szene übrigens, die vielleicht nicht genetisch, auf jeden Fall aber konzeptionell mit Mozarts Skandaloper „Così fan tutte“ verknüpft ist: In der Lampendämmerung sogleich behauptete die innre Neigung, behauptete die Einbildungskraft ihre Rechte über das Wirkliche: Eduard hielt nur Ottilien in seinen Armen, Charlotten schwebte der Hauptmann näher oder ferner vor der Seele, und so verwebten, wundersam genug, sich Abwesendes und Gegenwärtiges reizend und wonnevoll durcheinander. „Ich brauche einen Text, der mich anregt; es muß etwas Sittliches, Erhebendes sein. Texte, wie Mozart komponieren konnte, wäre ich nie imstande gewesen, in Musik zu setzen. Ich könnte mich für liederliche Texte niemals in Stimmung versetzen.“ Beethoven, 1825. Damit hat er, unbeabsichtigt sicherlich, zugleich etwas Wesentliches über sein Verhältnis zu Goethe preisgegeben. Denn wenn Erotik und Sexualität aus Goethes Werken nicht wegzudenken sind, wenn wechselnde Partnerbeziehungen bis zum Partnertausch in seinen Texten immer wieder wie selbstverständlich auftreten, wenn Partner-Stabilität und „Treue“ im Selbstverständnis des Weimaraners keine große Rolle gespielt zu haben scheinen – dann befand er sich damit nicht nur in scharfem Gegensatz etwa zu Hölderlin oder Schiller, sondern auch zu Beethoven. „Sinnlicher Genuß ohne Vereinigung der Seelen ist und bleibt viehisch, nach selben hat man keine Spur einer edlen Empfindung, vielmehr Reue“, notierte der Komponist. Die drastische Ausdrucksweise ist das eine – die textgebundenen Kompositionen das andere; und auch sie sprechen in dieser Hinsicht eine klare Sprache: An Intensität steht die Beethovensche „Amour“-Musik den Texten Goethes gewiss in nichts nach, hingegen an Vielfalt. Weder „Liederliches“ vermag ich in Beethovens Liedern zu finden noch solche aufs Menschlich-Existenzielle zielenden Goethisch-Mozartische Haltungen wie erotische Leidenschaftlichkeit und Selbstbestimmung. Aber, wer weiß: Vielleicht werden speziellere, subtilere Analysen Modifikationen erbringen? Abgesehen von einigen heiteren Liebesliedern finden wir jedenfalls vor allem schmerzhafte Gesänge, in denen Liebessehnsucht ausgedrückt wird – den Zyklus „An die ferne Geliebte“, oder vier 1808 gleichzeitig vorgelegte Vertonungen des Duetts Mignon-Harfner „Nur wer die Sehnsucht kennt“. Es gibt allerdings jenes gewaltige Werk, in dem Beethovens Sehnsüchte, gerichtet auf eine Partnerin, ganz andere Dimensionen erlangen als in den genannten Liedern und in dem Gemeinsamkeiten und Gegensätze zu Goethe geradezu grell hervortreten: seine einzige Oper „Fidelio”. Gewiss: Zwar ruft auch Goethes Klärchen die Männer auf, Egmont zu befreien; zwar verkündet sie, in eine Allegorie transformiert, in dem vorrevolutionären Stück jene symbolische Freiheit, für die später auch Leonore kämpft; zwar erhöhen beide Frauen den Mann: Dass aber fast zwei Jahrzehnte nach der Großen Revolution mit all ihren „dämonischen“ Folgen eine bewaffnete Frau auftritt; dass sie beschließt, einem ihr unbekannten Verfolgten zu helfen („Wer du auch seist, ich will dich retten“); dass sie den Tyrannen schließlich mit der Pistole bedroht und ihm in extremer Stimmlage und im Fortissimo zuruft „Tödt` erst sein Weib“ – dergleichen ist, scheint mir, bei Goethe unvorstellbar. Aber Leonore ist eine Ausnahme. Insgesamt gesehen dominiert in Beethovens Kompositionen wie in seinem Leben eine schwärmerische Haltung, eine Werther-Haltung, wenn man so will. Sie äußert sich auch in jenem in Beethovens Nachlass gefundenen erschütternden Brief, der unter dem Titel „An die unsterbliche Geliebte“ bekannt geworden ist. Das weibliche Geschlecht war für Beethoven vermutlich immer aufregend und anziehend – aber dennoch war es ihm nicht oder kaum möglich, Partnerschaftsbeziehungen im eigentlichen Sinn herzustellen. War das seiner zunehmenden Taubheit geschuldet? Man möchte es annehmen, aber es ist nicht ausgemacht. Jedenfalls befand sich Beethoven den Frauen gegenüber im Grunde in einer furchtbaren Isolation. Verlobungen und Heiratspläne schlugen fehl; ein Leben in einer Familie blieb Wunschvorstellung. „O geliebte J., nicht der Hang zum andern Geschlechte zieht mich zu ihnen, nein nur sie ihr ganzes Ich mit allen ihren Eigenheiten – haben meine Achtung – alle meine gefühle – mein ganzes Empfindungs vermögen an sie gefesselt –“, heißt es 1805. Die erst 1957 veröffentlichten Briefe Beethovens an Josephine Deym, geb. Brunsvik, zeigen den höchst sensiblen, vergeblich hoffenden, leidenden Mann. Noch ein Jahrzehnt später, fast fünfzigjährig, notiert er: „Nur liebe – ja nur Sie Vermag dir ein glücklicheres leben zu geben – o Gott – laß mich sie – jene endlich finden – die mich in Tugend bestärkt – die mir erlaubt mein ist.“ „erlaubt mein“! Beethoven fand sie nicht.
Eine Bemerkung zum Schluss. Die „holde Kunst“, meinte das lyrische Ich in Schuberts Lied „An die Musik“, habe „mich in eine beßre Welt entrückt“, habe „den Himmel beßrer Zeiten mir erschlossen“: Der junge Franz Schubert und sein Freund Franz von Schober bekannten, dass sie in der Kunst Trost suchten. Einer solchen Positionsbestimmung der Kunst hätten sicherlich weder Beethoven noch Goethe ohne Weiteres zugestimmt – und auch der reife Schubert nicht. Und doch ist es überaus interessant, dem Auftreten und den Stellenwert des Bekenntnishaften im Werk beider Künstler zumindest punktuell nachzugehen – so ungreifbar dieses Gebiet auch immer ist und so wenig jeder, der sich wagt, hierzu ein Wort zu sagen, darauf rechnen kann, Verständnis oder gar Zustimmung zu erlangen. Ja, sich über das Bekenntnishafte in der Kunst zu verständigen, das scheint in unseren ‚postmodernen’, ja: ‚nach’-postmodernen Zeiten ein nahezu aussichtsloses Unterfangen zu sein. Zunächst mag man allerdings prononciert fragen: Ist denn die Frage nach dem „Bekenntnismäßigen“ in der Kunst eine legitime, weil kunstgemäße Frage? Darauf mag es im Hinblick auf alte und neue, auf außereuropäische und europäische Künste und Kunstformen sehr unterschiedliche Antworten geben. Was mich angeht, so möchte ich jedenfalls die Auffassung voraussetzen, dass jeder künstlerischen Äußerung (jedem Wort, jeder Farbe, jedem Klang, jeder Bewegung in Tanz, Film oder in anderen neuen Medien) bekenntnishafte Momente eingeschrieben sind. Sie resultieren mit Notwendigkeit aus dem subjektiven Charakter der Künste: Indem er Kunst treibt, bekennt sich gerade dieser Mensch zu diesem oder jenem. Nur erscheint das Bekenntnishafte nicht immer rein, sondern auch spielerisch verhüllt oder verfremdet. Für Beethoven und Goethe aber scheint zu gelten, dass bei ihnen – in der Regel – das Explizit-Bekenntnishafte gerade den wesentlichen Inhalt darstellt. Blicken wir unter diesem Aspekt noch einmal auf die Probleme, zu denen ich mich soeben geäußert habe – Teplitz, Heidnisch-Pantheistisches, Satirisches, Tat und Kraft, Napoleon, Partnerbeziehung, Liebe, Erotik – so treten (überraschend) viele Unterschiede in das Gesichtsfeld. Demgegenüber will ich mir nun gestatten, hier abschließend auf eine gleichfalls erstaunliche Reihe von Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten aufmerksam zu machen. Das ist hier nicht auszuführen, sondern lediglich stichpunktartig zu benennen – und ich gebe hier ganz bewusst keine Beispiele, da diese Positionen eben durchgehend auftreten. Gemeinsam war ihnen, dass sich ihre Kunst, wie Goethe sagte, am „Leben selbst“ orientierte, also dem Menschlichen, Irdischen verpflichtet sind – oder, anders gesagt: dass ein durchaus human verstandener „Eros“ die zentrale Grundlage ihrer Texte, ihrer Musik bildet. Gemeinsam war Goethe wie Beethoven der die nationalen Grenzen überschreitende internationale Blick wie auch das sehr bewusste Anknüpfen an die vorliegenden Spitzenleistungen der jeweiligen Kunst; insbesondere, aber bei weitem nicht nur an die Antike und an Shakespeare. Hierzu gehört vor allem die an Shakespeare orientierte Mischung des Ernsthaften, ja Tragischen mit dem Komischen; für Beethoven war daneben das ausdrückliche Anknüpfen an Bach und Händel, an Haydn und Mozart wichtig: „daß sie Sebastian Bach’s Werke herausgeben wollen“, schrieb er an den Verleger Franz Hofmeister, „ ist etwas, was meinem Herzen, das gantz für die Hohe große Kunst dieses Urvaters der Harmonie schlägt, recht wohl thut […]” Gemeinsam war beiden die beiderseitige Hochschätzung der Volkskunst – fassbar etwa in Beethovens Tänzen wie auch in der liedhaften Dimension der Lyrik Goethes. Gemeinsam war beiden das wenn auch verschieden ausgeprägte, sich auf unterschiedliche Bereiche beziehende moderne Weltverständnis, zu dessen Grundbeziehungen Widersprüche, Polarität und Entwicklung gehören: Einheit des Zarten, Elegischen, Trauernden, Elysischen und Kämpferischen. Gemeinsam war beiden eine demonstrativ in Anspruch genommene wie verteidigte ausgeprägte künstlerische Individualität. Sich spontan entwickelnd oder ausgeklügelt fixiert, dürfte sie allerdings kaum geeignet sein, Zuschreibungen wie „klassisch“, „klassizistisch“ oder „romantisch“ zu bedienen bzw. in ihnen aufzugehen. Wir werden demgegenüber der künstlerischen Subjektivität Goethes und Beethovens wohl am ehesten gerecht, wenn wir verstehen, dass jeder von ihnen der großen Bewegung des europäischen Romantizismus eine jeweils spezifische, originelle, unverwechselbare, höchst wichtige Note hinzufügte. Gemeinsam war ihnen schließlich ihre maßgebliche Beteiligung an der Veränderung und Weiterentwicklung ästhetischer Grundpositionen, an der drastischen Überwindung der herrschenden ästhetischen Normen wie an der komplexen Veränderung der vorgefundenen Gattungen und Genres wie des poetischen und musikalischen Materials. Ja, es ist sicherlich nur wenig übertrieben zu behaupten, dass Ausmaß und Intensität der beethovenschen wie goetheschen Neuerungen ebenso wenig überblickbar sind wie ihre enormen nationalen und übernationalen zeitgenössischen und nachhaltig-langfristigen Wirkungen. „D e r kann Alles“, meinte Franz Schubert – nun, wie immer man diesen Satz betrachtet, euphorisch ist er auf jeden Fall. Aber seien wir keine Beckmesser! Akzeptieren wir, dass sich Kultur wie auch die sie immer wieder bedrängende Barbarei nicht nur aus einer Quelle speisen. „Zu dem Guten, von dem wir überzeugt sind, die Menschen zu bewegen, dürfen wir uns nicht unserer Argumente bedienen, sondern wir müssen bedenken, was ohngefähr die ihrigen wären“, hatte Goethe in jenen Jahren an Zelter geschrieben, da Beethoven an der „Eroica“ arbeitete. Eine derartige Strategie mochte Beethoven ferngelegen haben – im Einsatz für das Metaphorisch-Gute traf er sich jedoch nicht nur mit Herders Preis des „Wahren, Guten und Würklich Schönen!“, sondern eben auch mit Goethe: „Edel sey der Mensch hülfreich und gut!“ – die Eingangsverse des hymnischen Goethegedichts „Das Göttliche“ hat Beethoven gleich mehrmals in Musik gesetzt: als Stammbuchblatt, als Klavierlied, als 6-stimmigen Kanon. – Goethe und Beethoven: Der Dichter bezeichnete den Musiker als „ungebändigt“, der aber vermutete bei jenem ein Zuviel an „Hofluft“. Aber war der Eine tatsächlich „ungebändigt“ – der Andere aber womöglich ‚gebändigt’? Gefiel die „Hofluft“ dem Einen „zu“ sehr, dem Anderen aber nur ‚sehr’? Nun, derartige Charakterisierungsversuche werden nicht ganz abzuweisen sein: Wesentliches über Persönlichkeit und Werk erfassen sie mit Sicherheit nicht. Vielleicht aber dürfen wir sagen: „gebändigt“ wie „ungebändigt“ waren sie beide: „gebändigt“ – durch Krankheit und Alter, durch politische und menschliche Enttäuschungen, durch existenziell menschliche, wirtschaftliche oder politische Zwänge, durch „Hofluft“. – „Ungebändigt“ aber waren sie – zumeist – in ihrer Kunst.

Durch weiße Pracht zum Grünen Hügel

Erfurter und Geraer Goethefreunde fuhren am 14. Februar 2015  in die Wagner-, Liszt-, Jean-Paul- und Oskar-Stadt Bayreuth

Es war ein Experiment, dass sich Erfurter und Geraer Goethefreunde Mitte Februar erstmals gemeinsam auf eine Exkursion begaben. Würden die Landeshauptstädter, die sich erst vor wenigen Wochen zur neuen Erfurter Goethe-Gesellschaft zusammengefunden haben, und die Provinzler, die als Geraer Goethe-Gesellschaft nun schon seit neun Jahre bestehen, gut miteinander auskommen? Diese Sorge erwies sich als unbegründet, denn nicht nur das Interesse an dem großen Dichter verbindet die Mitglieder und Gäste der beiden Ortsvereinigungen, sondern auch das Bedürfnis nach angeregten Gesprächen und Aufgeschlossenheit gegenüber weiteren kulturellen Angeboten.

Eine Sorge ganz anderer Art war allerdings für die Organisatoren zunächst weitaus größer: Die Leitung des Festspielhauses Bayreuth, dessen Besichtigung der Höhepunkt unserer Fahrt sein sollte, sagte von einem Tag auf den anderen mit einer für uns fadenscheinigen Begründung den Termin für die Führung ab. Da war guter Rat teuer. Die ganze Fahrt absagen? Bus und Gasthaus abbestellen? Teilnehmerbeiträge zurück überweisen? – Nicht bei uns.

Bernd, der Vorsitzende beider Gesellschaften, rotierte, telefonierte, schrieb E-Mails, fragte hier und dort an. Landete vor weiteren Bayreuther geschlossenen Türen, stieß an Termin- und Finanzhürden, bekam Absagen, aber dann zum Glück auch Zusagen. So vom Kunstmuseum Bayreuth, das uns kurzfristig seinen Saal zur Verfügung stellte. So von den beiden Geraer Musikern Cornelius Herrmann (Cello) und Benjamin Stiehlau (Piano) sowie der früheren Schauspielerin Otti Planerer, die uns Geraer Goethefreunde schon mehrmals mit ihrem Können begeisterten. So taten sie’s auch am 14. Februar in Bayreuth.

Die vier Akteure brachten auf die Schnelle ein erstaunlich ansprechendes und kurzweiliges Programm auf die Beine.

Otti Planerer und Bernd Kemter warfen sich die textlichen Bälle zu und ließen dabei so manche lustige, ernsthafte, besinnliche oder gar skandalöse Begebenheit aus der Geschichte des großen Bayreuther Musikus Richard Wagner lebendig werden. Musik vom Feinsten entlockten Cornelius Herrmann und Benjamin Stiehlau ihren Instrumenten und begeisterten ebenfalls das Publikum.

Auf der Busfahrt zum Grünen Hügel hatten sich die Erfurter und Geraer Teilnehmer zunächst an der weißen Pracht erfreut, die im Fränkischen die vorbeiziehende Landschaft überpudert hatte. Bei einer Rast testete mancher gleich mal, ob die Konsistenz der weißen Masse sich für Schneebälle eignete. In den Genuss frischer fränkischer Luft kamen alle beim kurzen Stadtrundgang, der u. a. vorbei an der Villa „Wahnfried“ führte. Auch sie leider geschlossen, aber hier waren’s Bauarbeiten. Das efeuumwachsene Grab Wagners, also seinen letzten grünen Hügel, entdeckten wir allerdings doch noch.

Die berühmten Film-Oskars wurden erst zehn Tage später vergeben. Wir aber bekamen unseren „Oskar“ sofort, nämlich in Form von fränkischer Gastlichkeit und fränkischer Küche im gleichnamigen Traditionsgasthaus. Während wir Speise und Trank genossen, wurden viele anregende Gespräche geführt und nicht mit Anerkennung für den gelungenen schönen Ausflug gespart.                           – anke –

In E-Mails von Teilnehmern liest sich das so:

Vielen, vielen Dank für den schönen Tag. Wenn er auch aufregend begann, wofür ich mich nochmal entschuldigen möchte. Es war mir sehr peinlich, dass der ganz Bus auf uns warten musste, aber am Ende war alles gut und es war toll organisiert, der musikalisch-literarisch-satirische Nachmittag so aus dem Stegreif – einfach ein Genuss. Wir drei Freundinnen sind uns einig, dass wir solche Ausflüge, die einem auch geistig etwas geben, gerne wieder mit euch mitmachen wollen. Dreifache große Anerkennung! Es war eine sehr angenehme und inspirierende Goethe-Gesellschaft. – Elke L. aus Gera

Ein herzliches Dankeschön für die Organisation und fröhliche Untermalung unseres Ausflugs nach Bayreuth. Auch wenn uns das Festspielhaus nicht recht mochte, so haben Sie, Herr Kemter, es mit Geschick verstanden, doch eine interessante Fahrt daraus zu machen. Wir sind auch alle wieder gut in Erfurt gelandet… 

Ansonsten bleibt uns die Fahrt, durch den kalten Februar in guter Erinnerung. Annerose und Hans Borutta, Erfurt

Des freien Waldes freies Kind

Emerenz Meier – bayerische Dichterin und Feministin

Vortrag unseres Mitglieds Angelika Kemter am 5. November 2014

 

„Ohne Meier keine Feier“, sagte man bei uns zu Hause, denn unser Musiklehrer Meier war zugleich Leiter von Chor und Blaskapelle…
In meinem Bekanntenkreis gibt es drei Meyers, zwei  mit e-y, einer mit a-i.
Emerenz Meier, um die es heute gehen soll,  schreibt sich ganz simpel mit e-i. Der Meier-Varianten gibt es viele und der Name ist verbreitet wie Sand am Meer. So war es denn auch nicht der Famileinname, sondern der Vorname dieser Frau, der mich lockte, mich  mit ihr zu beschäftigen.

Emerenz – nie gehört zuvor, ehe ich im Fernsehen eher zufällig den Film “Wildreuer” gesehen hatte
Das Lexikon gibt Auskunft: Emerenz kommt vom Lateinischen und (Afghanischen). “emereor” heißt  “verdienen, würdig sein”, der Vorname also “die Würdige, die Verdienstvolle”.

Emerenz Meier ist – zumindest laut Wikipedia  – die einzige bekannte Persönlichkeit, die diesen Vor-Namen trägt. Sie  gilt als die bedeutendste bayrische Volksdichterin. Aber das war nicht immer so. Sie musste sich diesen Status zäh erarbeiten, wenngleich sie auch als Naturtalent bezeichnet wird.

Geboren wurde die “SENZ” (das ist wohl die bayrische  Koseform von Emerenz) am 3. Oktober 1874 in Schiefweg bei Waldkirchen in Niederbayern – also im tiefsten Bayrischen Wald, wo damals verbreitet tiefe Armmut herrschte.  Sie  war das  fünfte oder sechste Kind (die Angaben gehen auseinander) des Land- und Gastwirts Josef Meier und seiner Frau, die ebenfalls  Emerenz hieß. Die Dichterin wäre also vor einem  Monat 140 Jahre alt geworden.
Gestorben  ist Emerenz Meier  am 28. Februar 1928 in Chikago.

Ob ihre Eltern schon bei ihrer Geburt geahnt haben, dass sie einst eine Verdienstvolle, Würdige  sein wird?
Zumindest hatten sie sich die Verdienste ihrer Tochter sicher nicht auf dem Gebiet der Dichtkunst vorgestellt. Sondern eher als Landwirtin oder Gastwirtin.

Trinkfest soll sie ja gewesen sein. Das zeigt auch eine Begegnung der  “dichtenden Wirts-Dirn”  mit der Bayrischen Regentenfamilie. Als sie  am königlichen Hof  in München empfangen worden war, soll Prinzessin Therese sie gefragt haben, wie es sich am besten dichtet. Emerenz’s Antwort: “Wenn ich eine Maß Bier getrunken hab.” (So gibt es  “Die Zeit online – Kultur” wieder). Bei RegioWiki wird die Szwene etwas anders wiedergegeben: Prinz Ferdinand habe die Emrenz nach dem Grund ihres vor Gesundheit strotzenden Aussehens gefragt. Sie habe geantwortet: “Weil i alle Tage meine drei Maß Bier trink”.

Besonders ihr Vater soll – zumidest anfangs – nicht begeistert gewesen sein als sich seine Tochter begann, sich mit Literatur zu beschäftigen. Die sollte sich lieber  um die Gänse und  die Gäste kümmern, das Feld mit bestellen und Brotzeiten servieren.
Die schwere Arbeit in der Landwirtschaft und im Gasthof ließ auch nicht viel Zeit zum Dichten, aber Emerenz nutzte offenbar jede freie Minute. Obwohl sie auch zu manchem Jubiläum auf Bestellung Gedichtchen verfasste, wurde sie von den Dorfbewohnern als “Narrische Versel-Macherin”  verhöhnt.
Sie verteidigt sich – natürlich mit  Gedichten wie diesem:

Es hat a jeder a dumme G’wehnat

Es hat a jeder a dumme G’wehnat,
Die er gern bleib’n liaß‘, wann er’s oft kennat.
Und renntst ‚hn aufi, hoaßt’s: »Dös is mei‘ Sach!
I kann’s nöt lass’n, mi g’freut’s halt einfach.«

Der möcht gern singa und kennt koa Not’n,
Der ander‘ wildert, is streng verbot’n,
Der dritt‘ geht fisch’n, ja nöt in sein‘ Bach,
Steht aar a Straf‘ drauf, eahm g’freut’s halt einfach.

I hätt‘ vo kloa auf a Freud zum Dicht’n,
Und pfeifen alle auf meine G’schicht’n.
Doch wann i glei‘ koan‘ Schenie nix drei mach,
Und nix g’studiert bin, mi‘ g’freut’s halt einfach.

Und hier Nummer 2:

Unverbesserlich

Der Vater verbot mir das Dichten,
Das Mütterchen stimmte mit ein:
Ich soll nach dem Stande mich richten,
Die Bücher dem Backofen weih’n.

Wohl hab‘ ich es heilig versprochen,
Zu tun, was ihr Wille gebeut,
Das Wort hundertmal doch gebrochen,
Das Schwören noch öfters bereut.

Doch gestern, zu Tränen gerühret,
Erneut‘ ich es nochmals bei Gott,
Durch Bitten und Drohen verführet
Und weiter durch peinlichen Spott.

Ich ging in die dunkelste Kammer,
Hielt über die Verse Gericht,
Verfaßte dann in meinem Jammer
Verstohlen dies Klagegedicht.

Aber als 1893 – da ist sie 19 Jahre alt – erscheint ihre erste Erzählung  “Der Juhschroa” (der Juhu-Schrei) in der Donau-Zeitung. Als sie  nun auch noch das erste Honorar auf den Tisch blättern konnte, da soll der Vater sie ermuntert haben zum Weitermachen mit den Worten “Schreib, Senzl. Schreib!” (Zitat Die Zeit Online)

In dem 1991 gedrehten Film  „Wildfeuer“ (Buch und Regie Jo Baier) ist  es allerdings noch so  dargestellt, dass der Vater das Dichten für Zeitverschwendung hält. Emerenz verlässt nach einem Streit mit ihm das Haus, schlägt sich als Tagelöhnerin durch und als Bedienung in einem Gasthaus. Sie gerät an einen reichen Passauer Brauereibesitzer  Alfons Helmberger, der sie zu seiner Geliebten macht und für die Veröffentlichung ihres Fotos und eines Gedichts in der Pasauer Zeitung sorgt. Vor einem Theaterwettbewerb kauft er alle Eintrittskarten und verschenkt sie an ausgesuchte Leute, die Emerenz mit ihrem Beifall zum Sieg verhelfen… Später kehrt Emerenz ins Elternhaus zurück.  Die Familie ist inzwischen verarmt und verlässt – wie so viele andere in dieser Zeit –  ihre Heimat, wandert nach Amerika aus, um dort ihr Glück zu suchen.

Diesen Film  “Wildfeuer”  habe ich  vor zwei, drei Jahren spätabends im Fernsehen gesehen. Danach  wollte ich einfach mehr zu dieser Frau wissen. Ob es sie wirklich gab. Ob es stimmt, was da gezeigt wird?
Offenbar vieles, weiß ich inzwischen.  Den Brauereibesitzer  hat’s gegeben –  in der Realität heißt er  Hellmannsberger. Ebenos die Veröffentlichungen, das Theaterstück und auch die Auswanderung. Aber dazu später.

Ein weiterer Film mit dem Titel „Schiefweg“  (vom gleichen Regisseur Jo Beier 1988 gedreht),   zeigt   Szenen aus der Kindheit der Emerenz Meier.  – Von Beier  habe ich  übrigens auch den sehr interesanten Film “Schwabenkinder” gesehen.   “Schiefweg” zeigt das harte Leben auf dem Land im Bayerischen Wald, von dem Emerenz Meier geprägt wurde.

Das spiegelt sich in  ihren Werken wieder.Zum einen beschreibt sie Naturerlebnisse und ländliche Idylle, zum anderen schildert sie sehr eindringlich und ohne schnörkel die Nöte der Menschen, die schwere Arbeit, das Alltagsleben.Hier einige Beispiele:

Herbst

Im Herbstwind rauscht der Wald, die Zweige beben
Vor seinem Hauch, der frisch von Norden zieht.
Die Vöglein all die Stimmen sanft erheben
Zum letztenmal, zum trüben Abschiedslied.

Vom Baume fällt das bunte Laub und flüstert
Vom Sterben und von unbarmherz’ger Zeit.
Auf Busch und Moos der Abendschatten düstert
Und überm Hang macht sich der Nebel breit.

Zu Tal in raschem Laufe eilt die Quelle.
Ja eile nur, bald hemmt der kalte Frost
Dich Felsenkind; zu Eis erstarrt die Welle
Und stille wird’s, wo sonst du froh getost.

Geh heim, du müder Pilger dort am Raine,
Eh’s Winter wird. Zieht dich die Sehnsucht nicht
An warme Herzen? – Oder weißt du keine
Die auf dich warten in des Herbstes Licht?

Pilze

Bunte Pilze sind die Kindchen,
Die dem Mutterschoß der Waldung
In den feuchten Sommernächten
Gleich zu hunderten entsprießen.

Und sie gucken zwerghaft niedlich
Unter breiten Faltenhütchen,
Ducken sich ins Moosgewoge,
Bange vor der kleinsten Schnecke.

Schnecken kommen viel gezogen.
Hei, wie freu’n sie sich der Beute!
Fressen, daß die Bäuche schwellen
Von des Pilzlings rundem Rücken.

Halt, da greifen weiche Tatzen
Fünfgefingert nach den Pilzen,
Ziehen sie vom Mutterbusen,
Stecken sie ins runde Körbchen.

Und da schauen sie einander
Rund verwundert und verängstigt
An und flüstern: Ach was wird nun –
Wird nun wohl mit uns geschehen?

Väterliche Ermahnung

Mein Sohn, und wenn ich sterbe,
Dann erbst du Geld und Haus
Und suchest dir zum Weibe
Das schönste Mädchen aus.

Mein Sohn, und wenn ich liege
Vermodert längst im Grab,
Dann jagst durch deine Gurgel
Du Geld und Haus hinab.

Mein Sohn, und das ist bitter.
Für was hätt‘ ich gespart
Und meinen alten Magen
Mit Wasser nur genarrt?

Mein Sohn, und laß dir sagen,
Ein Glück, daß ich noch bin
Und selbst mein Teil kann tragen
Zur Hirschenwirtin hin!

Wödaschwüln

Mi würgt der Wind, mi druckt der Tag –
Hü, meine Öchsl, hü!
Schwül wirds, es kimmt a Wödaschlag.
Hü, meine Öchsl, hü!
Der Acker hat an hirtn Bodn,
Der Mähnt* koan Gang, der Pfluag an Schodn –
Hü, meine Öchsl, hü!

Mi würgt der Wind, mi brennt der Tag!
Hott, meine Öchsl, hott!
Und daß mi ’s Mensch iatzt nimmer mag? –
Hott, meine Öchsl, hott!
Es hat – i moan – sein guatn Grund,
Und wann i ‚hn net derstich, den Hund,
Den schlechtn, straf mi Gott!

Mei Mensch is schö, drum gfallts eahm guat.
Wüah, meine Öchsl, wüah!
A Messer und fünf Stich gibt Bluat.
Wüah, meine Öchsl, wüah!
Zua bis aufs Heft und ummadraht,
Verfluachter Lump, wia wohl dös taat!
Wüah, meine Öchsl, wüah!

Und bist so schö, du schwarze Dirn,
Zauf, meine Öchsl, zauf!
Und hast so krauste Haar ums Hirn,
Zauf, meine Öchsl, zauf!
Und lachst so süaß und schaust so fei,
Und kannst so falsch und elend sei!
Zauf, meine Öchsl, zauf!

Mi würgt der Wind, mi brennt der Tag!
Aoh, meine Öchsl, aoh!
Muaß ’s sein, daß i dös ewi trag?
Aoah, meine Öchsln, aoh!
Der Dunner kracht, es blitzt und brennt,
Schlag, Herrgott, ein und mach an End! –
Aoh, meine Öchsl, aoh!

Besonders das Los der Frauen wie sie es selbst erlebte, greift sie immer wieder in ihren Arbeiten auf und macht sich so zu ihrer Anwältin. In ihren Gedichten und Geschichten   merkt man deutlich, dass sie genau kennt, wovon sie schreibt. Dass sie es selbst erfahren oder in ihrer Umbebung beobachtet hat.

 

Wenn sich ein Weib aus der Herde hebt

Wenn sich ein Weib aus der Herde hebt
Und nicht nach der alten Schablone lebt,
Dann soll’s von der Menge gesteinigt werden,
Wie es Gesetz ist und Brauch auf Erden.

Doch gab man ihm eine Gnadenfrist,
Solang es jung und sauber ist,
Erst wenn sich’s zur alten Jungfrau entwickelt,
Wird es gekreuzigt, darauf zerstückelt.

Und hat sich ein Mann ein Weib erwählt,
Das mehr versteht als er von der Welt,
Mag es sein Haus sonst auch wohl verseh’n,
Der Scheidung soll nichts entgegensteh’n.

Denn der Mann sei weise, das Weib sei dumm,
Solch alte Gebote stößt man nicht um,
Heißt doch in jedem Fall er der Ernährer,
Auch wiegt sein Gehirn um einiges schwerer.

Und wenn von dem Alten Testament,
Man sonst schon das meiste erlogen nennt,
Die eine Wahrheit bleib unberochen:
Gott schuf die Eva aus Adams Knochen.

Zuviel ist dem Weibe bereits erlaubt,
Die Türkin trägt heut noch im Sack ihr Haupt.
Hier will sie Arzt sein und Pillendreher,
Lehrer, Jurist und Schaltersteher.

Gefährdet durch Weibes Intelligenz
Ist heut der Männer Existenz,
Ihr Ansehen flieht wie der alte Glaube
An ihre Kraft und ans Glück der Haube.

Doch tausend noch halten am alten Recht
Und schreien: Nieder mit dem Geschlecht,
Dem dritten, Wolzogens‘ Kampfgenossen,
Es sei verachtet, verfemt, verstoßen.

Ja, fort mit jeder, die emanzipiert,
Auf selber gebahnten Pfaden irrt,
Man schichte Scheiter, man werfe Steine,
Denn die Welt schuf Gott, für den Mann alleine.

 

 

Und was hat das alles nun mit Goethe zu tun, schließlich sind wir die Goethe-Gesellschaft. Warum beschäftigen wir uns  mit dieser Frau aus dem vorigen Jahrhundert?

Zumindest hat sie Goethe gelesen und auch  Homer, Dante, Heine, Schiller … Nämlich als sie fünf Jahre lang die Volksschule der Englischen Fräulein in Waldkirchen besucht. Schon im Alter einer Grundschülerein soll sie sich Werke der Klassiker besorgt und gelesen haben.
Sie ist eine sehr gute Schülerin, wird berichtet. Zwar spielt Literatur in ihrer Umgebung so gut wie keine Rolle, für sie ist das Lesen jedoch eine Möglichkeit, so oft es nur geht, wenigstens für ein paar Minten ausder strengen Hof- und Hausarbeit zu entfliehen. Ihre ältere Schwester Petronilla soll ihr ebenfalls Bücher geliehen haben. Das Lesen regete  Emerenz an, selbst kleinere Gedichte zu verfassen.
Sogar  an die “großen Dichter” geht  Emerenz nicht ohne kritische Sicht heran, zerfließt nicht in Ehrfurcht –  wie wir es ja heute auch nicht tun

Stoßseufzer
Hätte Goethe Suppen schmalzen,

Klöße salzen,

Schiller Pfannen waschen müssen,

Heine nähn, was er verrissen,

Stuben scheuern, Wanzen morden,

Ach die Herren,

Alle wären

Keine großen Dichter worden.

 

1891 übernimmt die Schwester den Gasthof, der Rest der Familie verlässt Schiefweg und zieht in den Nachbarort Oberndorf. Dort erhält Emerenz ein eigenes Zimmer. Das war in jener Zeit vermutlich eine Seltenheit. Dorthin kann sie sich zurückziehen zum Studieren und Dichten. Bald werden ihre Gedichte auch über Bayern hinaus bekannt. Das ist wohl auch Auguste (Gusti)  Unertl  zu danken, die in Waldkirchen einen literarischen Salon führte. Sie und    Emerenz verband eine lebenslange Freundschaft, wenngleich mit einigen Unterbrechungen. Viele Briefe der Emerenz an sie sind erhalten. Der Heimatforscher Paul Praxl schreibt in seinem Buch “Die unbekannte  Emerenz Meier” jedoch, dass Meier schon vor der Bekanntschaft mit Unertl publiziet habe und sich der Saloniere überlegen gefühlt habe.
RegioWiki zitiert aus seinem Buch:  Schon mit etwa 18 Jahren sei Emerenz  “als Persönlichkeit ausgereift gewesen.“ Schon in diesem jungen Alter habe sie kritisch Position bezogen zu den Autoritäten ihrer damaligen Zeit. Dabei rühre eines besonders an: Emerenz Meiers überaus früh entwickelte Sozialkritik, ihr Betroffensein, ihr bedingungsloses Eintreten – selbst zu eigenen Schaden – für Benachteiligte, Notleidendem Außenseier einer defekten Gesellschaft.”
Auch der sich entwickelnde Tourismus kam Emerenz Meier wohl zugute bzw. sie ihm. Es entstanden Postkarten mit ihrem Bildnis, das sie in bäuerlicher Festtagstracht zeigt. (Foto Postkarte  zeigen) So soll damals aber keiner der Bauern rumgelaufen sein, las ich.  Doch schien es gut fürs Geschäft und bis heute wird ja Touristen weltweit so manches vorgegaukelt.  Emerenz wird sozusagen zur touristischen Attraktion, zum “Wundertier”.
Einer der Sommerfrischler war Karl Weiß-Schrattenthal, Professor für Literaturgeschichte. Er brachte innerhalb einer Serie vier Erzählingen von Emerenz 1896 als Buch heraus. Titel  “Aus dem Bayrischen Wald”. (Foto Buchtitel zeigen) Es wird zwar von Literaturkritikern hoch gelobt,  verkauft sich aber  nur schlecht.
Einschub: Heute ist das oft nicht anders, wissen wir. Gerade anlässich der jüngsten Buchmesse las ich, dass viele Autoren am Existensminimum leben bzw. sich mit Hilfe von Ehepartnern oder durch Putzen oder anderen Zweitjobs über Wasser halten. – Aber zurück zu Emerenz.
Als ihren Förderer und Mentor macht Heimatforscher Paxel nach dem Durchforsten zahlreicher lange unbekannter Briefe den gleichaltrigen Medizinstudenten Ludwig Liebl aus. Der ist der Sohn des Waldkirchner Landgerichts-Assesors. Er vermittelte Emerenz Latein- und Steno-Unterricht. Auch als Berater angeboten habe er sich dem Bauernmädchen, das auf alle nur erdekliche Weise seinen Bildungshunger zu stillen versuchte.
Ein anderer  Medizinstudenten, der  spätere Arzt und  Autor Hans Carossa, ist einer ihrer Verehrer. Er war die rund 20 Kilometer von Seestetten bei Passau bis  nach Oberndorf gewandert, um die bewunderte Dichterin zu besuchen. Ausführlich berichtet er über die Begegnung in seinem autobiografischen Roman “Das Jahr der schönen Täuschungen”. Darin beschreibt er Emerenz als “sanft rebellenhaft und hingerissen von allem Aufrührerischen”. Die beiden sc hreiben sich auch nach dem Auswandern von Emerenz. Carossa  ist vermutlich einer der wenigen, die hinter die Fassade der Volksdichterin bis in ihr Innerstes schauen durften.
Noch mal zu dem eingangs erwähnten Empfang am königlichen Hof zu München. Auf Empfelung der Freundin Gusti Unertl wendet sich Emerenz dahin in der  Hoffnungen auf ein Literaturstipendium.  Aber das bleib ein Traum. Überleifert ist: Allenfalls können man ihr eine Stelle im Haushalt anbieten und beim  Bodenschrubben könne sie ja über neue Geschichten aus dem Bayernwald nachdenken. – Zwar bekam sie 200 Gulden aus der sogenannten  Privatschatulle des Prinzen, weil dem wohl die kesse Art der jungen Dichterin gefallen hatte. Aber das reichte nicht zum Studieren und erst recht nicht dazu, freie Schriftstellerin werden.
Dank einer  Seminarlehrer-Familie konnte Emerenz bei einem kurzen Bildungsuafenthalt um 1900 in Würzburg  Buchhaltung lernen und etwas  Englisch und Französisch. Aber die Gastgeber-Familie hatte wohl zu hohe Erwartungen, und so bleibt Würzburg auf einige Monate beschränkt. Denn Dichten auf Befehl kann Emerenz  nicht.
Zwischen 1900 und 1902 werden am Stadtheater Passau Bühnenfassungen ihrer Erzählungen “Aus dem Elend  und “Der G’schlößlbauer” aufgeführt.  Die  Kritiken sind schlecht, ebenso der Verkauf ihres Buches. Um Geld zu verdienen,  übernimmt Emerenz 1902 mit Hilfe des Brauereibesitzers Hellmansberger das Wirtshaus “Zum Koppenwirt”  in der Passauer Altstadt.
In dieser Zeit könnte das folgende Gedicht entstanden sein:

Hans

Hans, was sagte die Mutter zu dir,
Als sie dich so besoffen sah?
Hans, was sagte die Mutter da?
Hans, wie kamst du ihr für? –
Sagte die Mutter: »du volles Schwein,
Warst wohl wieder bei Emerenz,
Die dein Verderben, o Gott, ich kenn’s,
Und dein Ende wird sein!«

Emerenz will das frühere Schifferwirtshaus in eine Künstlerkneipe umwandeln.  Jedoch er auch das Dasein als Wirtin geht nicht lange gut. Durch drastische Reden gegen das Militär vergrault sie ihre beste Kundschaft.
Im Oktober 1903 verlässt sie  Passau – fluchtartig heißt es, und sie hinterlässt Schulden. Sie geht wieder nach München, wo sie mit Artikeln für die Münchner Neuesten Nachrichten, Erzählungen wie Der Bua oder Texten für die katholische Wochenzeitschrift Deutscher Hausschatz ihren Lebensunterhalt verdient. Dort als Redakteurin zu arbeiten, schlägt sie aus.
Lieber geht sie zurück in den Wald  und übernimmt den Hof ihres Vaters in Simpoln bei Fürsteneck. Dennoch  schreibt sie gelegentlich weiter für Zeitschriften wie den Simplicissimus.
Die Familie war inzwischen verarmt und entschloss sich  auszuwandern. Vater und Schwetern reisten voraus, Emerenz folgte 1906 mit der Mutter nach Chicago.
Aber die Sehnsucht nach ihrer Heimat ist immer gegenwärtig:

Mein Wald, mein Leben

Ich sah den Wald im Sonnenglanz,
Vom Abendrot beleuchtet,
Belebt von düstrer Nebel Tanz,
Vom Morgentau befeuchtet:
Stets blieb er ernst, stets blieb er schön,
Und stets mußt‘ ich ihn lieben.
Die Freud‘ an ihm bleibt mir besteh’n,
Die andern all zerstieben.

Ich sah den Wald im Sturmgebraus,
Vom Winter tief umnachtet,
Die Tannen sein in wirrem Graus,
Vom Nord dahingeschlachtet;
Und lieben mußt‘ ich ihn noch mehr,
Ihn meiden könnt‘ ich nimmer.
Schön ist er, düsterschön und hehr,
Und Heimat bleibt er immer.

Ich sah mit hellen Augen ihn,
Und auch mit tränenvollen;
Bald hob er meinen frohen Sinn,
Bald sänftigt‘ er mein Grollen.
In Sommersglut, in Winterfrost, –
Konnt‘ er mir mehr nicht geben, –
So gab er meinem Herzen Trost;
Und drum: Mein Wald, mein Leben!

 

Gleich  nach ihrer Ankunft in Chicago heiratet sie (Zitat)„den Erstbesten, von dem ich annahm, daß er mir ein gutes Heim bieten könne“. Es ist der   Auswander  Joseph Schmöller, der wie sie aus dem Bayerischen Wald stammt. In einem Brief schreibt Emerenz zu ihrer Ehe: „Dieses Verbrechen bezahlte ich mit dreijährigem Elend“. Als  Joseph Schmöller 1910 an Schwindsucht stirbt lässt er die Witwe Emerenz mit dem gemeinsamen Sohn Joseph-Frank zurück.  Später heiratet Emerenz Meier dann  den schwedischen Fabrikexpedienten John Lindgren. Mit ihm wird sie einigermaßen glücklich.
Aber das Auswandern nach Amerika insgesamt bringt nicht die ersehnte Erlösung aus Not und Eldend, Im Gegenteil.  In “Die Zeit Online” schildert Winkler: “Der Neuanfang wird schnell zur Qual: aus der Schriftstellerin und freigesinnten Waldlerin wird eine Lohnarbeiterin, die ‚jungen, gummikauenden Frauen den Fußboden‘ schrubbt und in Fabriken sexuelle Diskriminierungen über sich ergehen lassen muss.

Winkler weiter: “Während des Ersten Weltkrieges wächst Emerenz Meiers Kritik an Amerika, aber auch an den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in Europa. Meier wandelt sich zu einer überzeugten Kommunistin, die die Weltrevolution herbeisehnt, und wendet sich von der Kirche, wenngleich nicht vom Glauben, ab.”

Weh über die Führer der Nationen

Weh über die Führer der Nationen,
Die Henker im Frack, die Mörder auf Thronen!
Sie machen Geschichte, sie spinnen Netze,
Mit Hilfe der Presse, der feilen Metze.

Wenn faul Republiken und Monarchien,
Nach Freiheit und Aufklärung wird geschrien,
Dann heißt einen schneidigen Krieg erzeugen,
Der Revolution noch schnell vorzubeugen.

Dann treiben die Hirten die Herden zur Weide,
Zum Kampffeld hinaus, rum tollt euch im Streite!
Kühlt euer Mütchen, ein Volk am andern,
Uns aber laßt den Herrenpfad wandern!

Das tötet und würgt uns und wird getötet,
Die ganze Welt ist von Blut schon gerötet,
Sie kämpfen verzweifelt, Mann gegen Mann,
Hat keiner was dem andern getan.

Was hat euch, ihr Völker, mit Blindheit geschlagen,
Wann wird es in euren Gehirnen tagen,
Wann dringt in eure Seelen das Licht
Der echten Freiheit, die liebt, nicht ficht?

In über  50 Briefen und Karten schildert sie eindrucksvoll ihre politische Einstellung und ethisch-moralische Gedanken. An der Sprache – oft vermischt sie deutsche und englisch-amerikanische Worte – werde deutlich, dass sie völlig zur Amerikanerin geworden sei. Sie berichtet über das Eldend der Einwander, darüber, dass sie zu Hause Bier braut (für sich und gute Kunden) und dass sie ständig Altkleider und Geld sammelt für die ktiegs- und Inflatitionsgeschädigten Deutschen.
Der Kontakt zu Carossa reißt nach zwei Briefen wieder ab. Zitat Winkler:
“Sie haben sich endgültig zerstritten, weil er ihren Kommunismus nicht begreift, nicht verstehen will, daß der Kommunismus für eine Proletarierin die einzige Erlösung ist für Amerika und die Welt. Der Herr Doktor aus Passau sieht sich bei den Klassikern schon zu Lebzeiten, ihn schreckt ihr Realismus, das ist nicht die Emerenz, die ihm sein Vater einst empfohlen, das ist eine Bolschewistin, die nicht einmal studiert hat. Der Onkel Doktor übersieht bei seiner Ferndiagnose allerdings, daß die Emerenz, seine Emerenz sehr genau weiß, warum sie so denkt, wie sie denkt: Sie lebt in einem Elend, das er nie kennenlernen mußte. In Chicago war das Elend, das sie schon zu Hause gefühlt hatte, benennbar geworden, es hatte Ursachen: die Armut, die ausbeuterischen Unternehmer, die Vermieter, die ständigen Krankheiten.”

Diese geistige Entwicklung von Emerenz lässt nicht verwundern, dass ich   im Internet als erstes auf der Seite  www.kommunisten.de  etwas über ihren 140. Geburtstag fand unter der Rubrik “Der Mensch geht vor Profit”. Das Jubiläum wurde aber auch in ihrer Heimat mit Veröffentlichungen und Veranstaltungen begangen.

Und wie ging es Emerenz in der Ferne? Ihr Talent glaubt sie versiegt. Sie liest zwar weiter deutsche Literatur und deutschsprachige Zeitungen und schreibt auch kleinere Sachen für sie. Aber der geliebte Wald ist weit weg, schweigt.  In Emerenz’s  Nachlaß finden sich ein paar Erzählungen aus Chicago, ohne viel Stimmung, ohne Lokalkolorit, harter Realismus.

Mein Schicksal

Ich war ein blühender, junger Baum,
Die Vögel sangen in meinen Zweigen.
Im Waldwind wuchs ich, ich sah im Traum,
Mich schon zu den weißen Wolken steigen.

Die weißen Wolken, sie wurden grau,
Wie unheilschnaubende Himmelspferde.
Es lenkte die schwarze Schicksalsfrau
Die wilde, vom Sturm gepeitschte Herde.

Es schlug der Blitz in mein junges Haupt,
Und furchtbar prasselten Schlossen nieder,
Gebeugt, gebrochen, zerspellt, entlaubt,
So sah mich der nächste Frühling wieder.

Ein toter Stumpf und nichts andres mehr,
So träum ich düstere Todesträume
Am grünen Hange, von Blumen schwer,
Da blühen und rauschen junge Bäume.

 

Ihr zweiter Mann Lindgreen  stibt am 18. Januar 1925. Emerenz überlebt ihn um drei Jahre voller Verzweiflung und Krankheiten wie Wassersucht und Bronchitis. 1928 stirbt Emerenz Meier in Chicago im Alter von nur 53 Jahren.  Auf ihren Wunsch verstreute ihr Sohn ihre  Asche auf dem Grab der Eltern.

Heute ist ihr Geburtshaus in Waldkirchen-Schiefweg zu einem Emerenz-Meier- und Auswanderr-Museum umgebaut worden. Ein Verein hat es Anfang der 1990er Jahre gekauft und vor dem Verfall gerettet. Im Untergeschoss befindet sich eine Gastwirtschaft “Zur Emerenz”, die  Grundschule in Waldkirchen trägt ihren Namen. Es gibt mehrere Bücher über sie, und eine CD mit vertonten Gedichten und auszügen aus ihren Briefen.
In Passau am Donaukai steht eine Emerenz-Meier-Büste, die 2008, also zu ihrem 80. Todestag, eingeweiht wurde. Das Denkmal steht nicht weit entfernt vom “Koppenwirt”. Also der Kneipe – heute Wohnhaus –  die Emerenz einst bewirtschaftete. Den Platz am Wasser habe sie auch deshalb bekommen, weil sie von Rotterdam aus ihre Heimat mit dem Schiff nach Amerika verlassen hat. Als wir vorigen Herbst von Passau aus zu einer Donau-Tour aufbrachen, habe ich die wenigen Minuten bis zur Schiffsabfrahrt genutzt, um das Denkmal zu suchen und zu fotografieren. Dabei habe ich festgestellt, dass eine Angabe im Internet nicht stimmt. Emerenz schaut nicht zum Wasser. Wohl aber kehrt sie der Donau und dem Bayrischen Wald den Rücken. Der Sockel der Bronze-Büste ist aus Bayernwald-Granit gefertigt. Denn Emerenz hat zeitlebend  ihrem Wald nachgetrauert, sich nach ihm gesehnt.
Wie stark sie sich dem Wald verbunden fühlte, zeigt nicht zuletzt ihr Bekenntnis “Ich bin des freien Waldes freies Kind”, das der Literaturwissenschaftler Hans Götter als Titel für sein 2008 erschienenes Emerenz-Meier-Lesebuch wählte und das auch   meinem Vortrag die Überschrift gab.

Des freien Waldes freies Kind

Im freien Wald bin ich groß geworden. Auf Bergeshalden, wo der Böhmerwind, der übermütige, sich mit Tannen balgt.
Das Wild war mir befreundet im Revier.
Das Eichhorn floh nicht, wenn ich es beschlich.
Der Gayer sah  froh kreischend auf mich nieder.
Da warf ich oft mich an die Brust der Erde und schrie und schwur:
Nie würde ich andere Fesseln dulden von irgendeinem, der aus Fleisch und Blut.
Nur keinen Herrn – und mag er sein wie immer.
Ich bin des freien Waldes freies Kind.

 

Noch ein kleiner Nachtrag:
Die hier zitierten und weitere  Gedichte sind im Internet unter den Portal “Wortblume” nachzulesen.
Weiterhin entnahm ich die Fakten zu meinem Vortrag Den Büchern von Hans Göttler „… des freien Waldes freies Kind“. Inden Internetseiten der Bayrischen Staatsbibliothek, Von Wikipedia und RegioWiki, einer Bildungs-Sendung des Bayrischen  Rundfunks aus dem Jahre 2013,  Informationen von der CD “Emerenz Meier – out of Heimat”  und  der Home-Page des Emerenz-Meier-Haus-Vereins.

Dessen Vorsitzender Alex Nodes hat auf meine Anfrage folgende Zeilen geschrieben:

„Auf der homepage unsres Vereins (www.born-in-schiefweg.de) finden sie viele Infos und Details zum Thema. Daneben gibt es mittlerweile viel Literatur zu erwerben, angefangen mit dem Standardwerk von Dr. Hans Göttler, der die Gesammelten Werke I und II aller Emerenz-Schriften herausgegeben hat. Herr Göttler ist ein Freund unseres Vereins und würde sich bei einem Besuch Ihrerseits bei voriger Terminabsprache sicher zu einer Passauer/Schiefweger Führung bzw. Lesung für die Geraer Goethegesellschaft zur Verfügung stellen.
Die Büste in Passau wurde nicht von unserem Verein konzipiert, ist sehr gelungen und schaut meines Wissens deshalb nicht Richtung Bayerischer Wald, weil Emerenz durch ihre Auswanderung nach Amerika ja tatsächlich ihrer Heimat den Rücken gekehrt hat.
„Ihre“ Passauer Kneipe war der „Koppenjäger“ und ist nur ein paar Schritte von der Büste entfernt in einer Seitengasse zu finden. Das Haus ist heute ein Mehrfamilienhaus und eine Gedenktafel erinnert an Emerenz.
Mit der Hoffnung, Ihnen geholfen zu haben, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen
Alex Nodes, Vorstand Emerenz-Meier-Haus-Verein

Vielleicht  nehmen wir ja die Einladung an und besuchen in einem unserer Ausflüge das Emerenz-Meier-Haus und den  schönen Ort Waldkirchen.

 

Mitgliederversammlung

3. Dezember Mitgliederversammlung und Bericht zum Goethejahr 2014

Am 2. Dezember 2014 führten wir die satzungsgemäße Wahl-Mitgliederversammlung durch. Daran nahmen 17 Miglieder und drei Gäste teil. Elke Sieg erstattete den Bericht der Geschäftsführung. Kassenprüferin Vera Richter bescheinigte eine umsichtige und einwandfreie Kassenführung. Sodann wurde der neue Vorstand gewählt. Es stellten sich drei Kandidaten zur Wahl. Sie wurden jeweis einstimmig gewählt. Es konstituerte sich der neue Vorstand: Elke Sieg als Geschäftsführerin, Michael Roth als stellvetretender Vorstand, Bernd Kemter als Vereinsvorsitzender.

Kemter erstattete zuvor den Bericht. Hier folgt auszugsweise der Text:

Liebe Goethefreundinnen, liebe Goethefreunde!

Ein ereignisreiches Jahr geht zu Ende. Wir können voller Freude und Stolz feststellen, dass wir mit einer Ausnahme, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, unser Jahresprogramm vollständig und erfolgreich absolviert haben. Das Jahr war vollgepackt mit schönen Ereignissen.
Wieder haben wir schöne, interessante Vorträge erlebt. Begonnen hat das Jahr mit einer Lesung von Erika Seidenbecher über Caroline Schlegel-Schelling. Sodann eröffnete unser langjähriger Referent Dr. Thomas Frantzke aus Leipzig den Vortragsreigen mit einem vergessenen Jugendwerk Goethes „Claudine von Villa Bella“. Ein ebenso lieber Gast besuchte uns im März. Dr. Arnold Pistiak aus Potsdam referierte zu Eislers „Johann Faustus. Die weiteren Themen und Referenten möchte ich nur kurz nennen: Anakreontische Dictung (Prof. Kertscher, Halle), Wagner und Goethe (Barbara Kiem, freiburg/Breisgau, Goethe und Brasilien (Sylk Schneider, Weimar). Im September hörten wir einen anregenden Vortrag über den Köstritzer Liederdichter Julius Sturm (Barbara Dölitzsch, Gera, im Oktober Goethe, Franken, Wein und Frauen (Dr. Hans Bauer, Kitzingen) und im November über die bayerische Dichterin und Feministin Emerenz Meier. Unseren Mitgliedern Erika Seidenbecher, Barbara Dölitzsch und Angelika Kemter gilt unser herzlichster Dank für ihre fleißige, tiefgründige und anregende Recherche. Das Jahresprogramm zeigt aber auch, dass unser Referentenkreis sich mittlerweile über ganz Deutschland erstreckt, und dies wird wohl künftig noch weitere als die genannten Orte umfassen.
Ein unverzichtbarer Bestandteil insbesondere für ein reges freundschaftliches geselliges Miteinander stellen unsere Ausflüge dar. Im April begaben wir uns auf die Spuren des Fabeldichters Gellert, samt Besichtigung einer merkwürdig kuriosen Camera obscura, und auch der Frühlingsausflug nach Wonsees/Sanspareil dürfte noch in bester Erinnerung sein, zumal sich dort auch Kulmbacher Freunde einfanden. Dank an alle, die sich in der Lage fühlten, unsere mitgebrachten Bänke ins Felsentheater hin und zurück transportierten. An dieser Stelle ist auch unserem Mitglied Otti Planerer zu ihrem schönen Vortrag zu den Salonnieren zu danken, den wir in freiem Walde, in diesem Felsentheater hören durften.
Ein weiterer Höhepunkt war unsere Mehrtagesfahrt nach Wetzlar, gut begleitet von dortigen Goethefreunden.
Einen schönen Sommertag verlebten wir sodann in Reichenfels/Hohenleuben. Die idyllisch gelegene Lochmühle im Triebestal, der Meuseumsbesuch mit kleiner Lesung von Erika Seidenbecher, und vor allem das kleine Konzert unseres Mitglieds und Sängerin Renate Kette, begleitet von Frau Müller auf dem Piano, all dies hat sicherlich allen gut gefallen. Und wie immer bei unseren Zusammenkünften gab es auch etwas Gutes zu essen und zu trinken.
Einen großen Erfolg verbuchten wir mit der Lesung aus „Schwarzes Eis“ mit dem Autoren Sergej Lochthofen zu Goethes Geburtstag im Sparkassensaal. Der Saal war brechend voll, und wir möchten auch nicht verhehlen, dass uns der Erlös einiges auf unser Konto für das große Treffen 2016 in Gera spülte.
Im Herbst stand wiederum ein traditioneller Ausflug an. Er führte uns diesmal an den Geiseltalsee. Wir erlebten eine schöne Fahrt in der Touristenlokomotive rund um den See, kosteten Federweißer und hatten viel Freude bei der Martha-Aufführung im Liebhabertheater Bad Lauchstädt.
Damit nicht genug. Die Geraer Goethe-Gesellschaft war Mitorganisator des 1. Waldecker Goethe-Tages Ende September, den wir gemeinsam mit der Gemeinde und dem Feuerwehrverein ausrichteten. Er gestaltete sich zu einem schönen Erfolg. Dank gilt hier insbesondere Michael Roth für seine Organisaton der Kinderspiele, Vera Richter, Angelika Kemter und Helga Zauft, die den Büchertisch im Festzelt betreuten.
Auch besuchten wir Anfang September im Liebhabertheater Schloss Kochberg das Singspiel „Erwin und Elmire“, das uns allen gefallen hat.
Ich möchte an dieser Stelle allen Mitgliedern, altgedienten und neuen, danken, die auch 2014 zur Stange hielten. Mein Dank gilt auch meinen beiden Vorstandskollegen Elke Sieg und Michael Roth; wir sind ein gutes Team, bei uns gibt es weder Streit, Gerangel, Missgunst oder dergleichen mehr. Wir diskutieren unsere Vorhaben, ziehen an einem Strang. Das ist mit Blick auf andere Ortsvereinigungen durchaus nicht selbstverständlich.
Ich bitte Sie, besuchen Sie auch weiterhin unsere Vorträge. Hier könnten einige Mitglieder durchaus häufiger erscheinen. Und nehmen Sie auch an den Ausflügen teil. Der Vorstand hofft, Ihren Geschmack getroffen zu haben.
Für das neue Jahr stehen wieder anspruchsvolle Vorhaben an. Das Neue dabei ist, dass unsere Gesellschaft gewissermaßen Pate gestanden hat für die Neugründung einer Erfurter Goethe-Gesellschaft. Dies heißt, dass wir bei einigen Ausflügen auch Goethefreunde aus der Landeshauptstadt begrüßen dürfen. Zwischen beiden Vereinen soll sich ein freundschaftliches Miteinander entwickeln. Die Zukunft wird zeigen, ob die Chemie stimmt. Da ich nun als Vorsitzender gewählt wurde, neben meinem Freund Dieter Schumann als Geschäftsführer, hat sich kein weiterer Erfurter bereitgefunden, für den Vorstand zu kandidieren, bitte ich um eine gewisse Entlastung. Es wäre sehr schön, wenn sich drei, vier Mitglieder finden würden, die im Nachgang der Vorträge die zusammenfassenden Berichte für unsere Homepage schreiben würden.
Im Oktober gab es zudem ein klärendes, ermutigendes Gespräch in Kulmbach. Die Kulmbacher bekräftigten nachdrücklich, dass sie weiterhin mit uns zusammengehen wollen. Wir brauchen wieder einmal einen kräftigen Anschub. Dem dient unser mittlerweile dritte Literaturstreit. Ich bitte Sie alle, sich rege daran zu beteiligen.
Ich will es bei diesen wenigen Bemerkungen belassen, nur noch eines erwähnen. Unsere Vereinsfinanzen sind, dank der Bemühungen von Elke Sieg, gesund, wir haben auch die diesjährige Steuerprüfung gut überstanden. Auch das Sonderkonto für das Treffen 2016 in Gera ist gut bestückt. Es bedarf aber noch weiterer Anstrengungen, um unseren Eigenanteil zu schaffen. Wer sich in der Lage fühlt, sollte also spenden. Andererseits hat sich die Situation gut entspannt, so dass wir möglicherweise aus der normalen Vereinskasse wieder hier und da bescheidene Zuschüsse für unsere Ausflüge berappen können. Je höher das Sonderkonto wächst, umso mehr wird es auch Zuschüsse geben können, was die Belastung für jeden Teilnehmer senken wird. Mit diesem kleinen Appell möchte ich meine Ausführungen beenden.

„Goethe, Franken, Wein und Frauen“

Vortrag von Dr. Hans Bauer, Kitzingen, am 1. Oktober 2014

Goethe trank gern Frankenwein. So ließ er sich auch aus dem unterfränkischen Dettelbach Weine schicken. Da ist aber noch nicht lange bekannt. 2004 meldete sich ein Kunde bei einem dortigen Weinhändler und behauptete, Goethe habe Wein aus Dettelbach getrunken. Da Goethe Haushaltsbuch führen ließ, forschte Bauer im Goethe- und Schiller-Archiv, fand in dortigen Unterlagen auch die Namen der beiden Weinhändler Thaler und Döring aus Dettelbach. Auch weilte Goethe in der Nacht vom 5. auf den 6. November 1797 im Gasthof “Zum goldenen Hirschen”. Auch Weinhändler Hornschuch aus Rüdenhausen lieferte Wein an Goethe. Auf dem dortigen Weingut lebt heute Karl Graf zu Castell-Rüdenhausen. Hornschuch war mit einem weiteren Weinhändler verbandelt. Der lieferte an Goethe recht umfangreiche Weinsendungen, wagt es aber einmal, den Geheinrat wegen säumiger Zahlung anzumahnen. Daraufhin bekam er nie wieder eine Bestellung von Goethe.

Die Gebrüder Will aus Schweinfurt gehörten zu den wichtigsten fränkischen Weinlieferanten. Ein “Eimer” Wein umfasste damals 60 Liter.

Goethe zeigte sich recht ungeduldig, wenn die Lieferung lange Zeit ausblieb. Er konnte dann sehr ungehalten sein. Im April 1820 vermutete er, man habe “bei der Maut neue Schikanen ersonnen”, und er wolle sehen, “wie man ihn hierher schaffe”. Am 17. Mai 1820 traf die sehnlichst herbei gewünschte Bestellung endlich ein. Wen ig später, am 31. Mai schreibt er an Sohn August: “Sende mir eine Portion Wein.” Zwischen 1805 und 1832 erhält er 63 Lieferungen von den Gebrüdern Will. Hier besaßen die “Eimer” schon ein Fassungsvermögen von ca. 300 Litern. Auch von den Gebrüdern Ramann aus Erfurt bezog Goethe Wein. Ramanns hatten ihre Wurzeln in Franken.

Dennoch, so Bauer, war Goethe keineswegs ein Trunkenbold. Er wusste stets, wann er aufhören musste. Der stilvolle Genuss des Weines war ihm wichtig. Er wollte nicht, dass der Wein verdünnt wird und konnte schon mal tadeln: “Wo haben Sie denn diese üble Sitte gelernt?”

Regionale Sorten waren zum Beispiel: Dettelbacher Leiten, Würzburger Stein, Würzburger Leiten, Rödelseer, Escherndorfer, Wertheimer.

Dr. Bauer ging sodann auf fränkische Orte ein, in denen Goethe weilte. In Nürnberg hielt er sich viermal auf, so beim Abholen von Herzogin Anna Amalia aus Venedig. Er genoss auf einen Schlag drei Dutzend Nürnberger Bratwürste. Goethe weilte 27-mal in Hof. Aber er besuchte auch Ostheim vor der Rhön und verbrachte eine Nacht in Würzburg (bei Mondschein; Dom und Residenz hat er nie gesehen). In Nordheim am Main kehrte er ein. “Mittagessen, junges frisches Mädchen, nicht schön, verliebte Augen, der Alte guckt sie immer an. Kuss!”, schreibt Reisebegleiter Sulpiz Boisseree.

Weitere Orte, die Goethe besuchte, sind u. a.: Wunsiedel, Bad Alexandersbad, Bamberg (dreimal, nur kurz, Gasthof zum weißen Lamm), Bayreuth (eine Nacht) Dinkelbühl, Schwabach, die Klöster Banz und Vierzehnheiligen.

Goethe kannte viele Persönlichkeiten in Franken, darunter Christian Gottfried Nees von Esenbeck, Philosoph, Mediziner, Botaniker, der eifrig mit dem Dichter in Weimar korrespondierte. Nees widmete Gothe eine südamerikanische Pflanze, die Goethea cauliflora. Goethe war begeistert. Den Friedrich Rückert kannte Goethe auch. Rückert hatte die “Östlichen Rosen geschrieben, er wollte damit Goethes “West-Östlichen Divan” nachempfinden. Goethe sortierte dieses Buch in seine Bibliothek ein. Sie sind sich aber nie begegnet. Rückert verehrte Goethe sehr.

Zum Thema noch ein Goethe’sches Bonmot: “Ohne Wein und ohne Weiber hol der Teufel uns’re Leiber.”

Dr. Bauer stellte sodann einige Frauenbekanntschaften Goethes vor (z. B. Ulrike von Levetzow) und stellte die Frage, ob denn Goethe auch eine fränkische Geliebte gehabt habe. Dies ist nun mehr scherzhaft zu betrachten. Immerhin: Am 11. September 1823 “verguckte” er sich vielleicht in Hof “Zum Hirsch” in die ledige Schwester des Wirtes. Stoff für eine eingehende Recherche.

B. Kemter

1. Waldecker Goethe-Tag

1. Waldecker Goethe-Tag am 28. September 2014

Mit dem 1. Waldecker Goethe-Tag, der am Sonntag gemeinsam von der Gemeinde und dem Feuerwehrverein Waldeck sowie der Goethe-Gesellschaft Gera veranstaltet wurde, sei ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gegangen. Das sagte Landrat Andreas Heller, der die Schirmherrschaft über die kurzweilige Veranstaltung übernommen hatte. Ein herzliches Grußwort richtete auch der Dr. Jochen Golz, Präsident der Goethe-Gesellschaft in Weimar, an die Akteure und Besucher, die nicht nur aus der näheren Umgebung gekommen waren, sondern auch aus Jena, Zeulenroda-Triebes und Ilmenau, Naumburg und Kulmbach. Etliche von ihnen waren bei dem herrlichen spätsommerlichen Wetter gemeinsam mit Georg „Orje“ Zurawski, dem bekannten Original aus Beulbar, durch die naturgeschützten Waldecker Buchen zum Festplatz gewandert und taten es damit Goethe gleich, den vor allem die herrliche Natur dreimal zwischen 1775 und 1780 sowie letztmals 1826 nach Waldeck gezogen hatte.

Das und vieles mehr über die Verbindung Goethes zu Waldeck erfuhren die Gäste im Festvortrag vom Dr. Uwe Träger. Was er dazu in seinem Buch „Goethes Stern“ beschrieben hat, zitierte Georg Zurawski mit unnachahmlichem schauspielerischem Talent. Zum Glück war er gut bei Stimme, an der „Klampfe“ musste er sich allerdings wegen einer Handverletzung von seiner Nichte Suse vertreten lassen. Uwe Trägers Bücher und etliche von Mitgliedern der Geraer Goethe-Gesellschaft erarbeitete literarische Werke waren am Büchertisch zu haben.

Dass Johann Wolfgang von Goethe nicht nur der große Dichter und Minister war, sondern sich auch den „gewöhnlichen“ Menschen sehr verbunden fühlte zeigten zum Auftakt Dörthe Rieboldt und Bernd Kemter in ihren Anekdoten und Schnurren zum Frühschoppen auf. „Die Veranstaltung hat mir Goethe in seiner Volkstümlichkeit näher gebracht`, sprach eine Geraer Besucherin anderen Gästen aus dem Herzen.

Liebe geht bekanntlich auch durch den Magen, und nicht zuletzt war der Dichterfürst auch ein Feinschmecker. Er mochte Bratwürste, so wie sie die Waldecker Feuerwehrkameraden bruzelten, ebenso wie Köstritzer Bier. „Oberkoch“ Wolfgang Plötner und sein Team kredenzten zudem Kartoffelschaumsuppe, wie sie Goethe liebte. Die Waldecker Kuchenfrauen hatten sich beim Backen wahrlich selbst übertroffen, lobten Kenner der Kuchenszene. Dazu gab’s den berühmten Holzländer Rumkaffee und freilich auch Getränke ohne „Schuss“.

Die jüngsten Besucher gestalteten an der Mephisto-Malstraße lustige Teufelchen, Tiere und vieles mehr. Sie übten sich im Reifenrollen, Stelzenlauf, im Hopsen und weiteren Spielen, mit denen sich Kinder zur Goethezeit beschäftigten, nahmen aber auch gern den schicken modernen Waldecker Kinderspielplatz der Gegenwart an.

Eine besondere Freude für das Publikum waren die Darbietungen von Spielmann Max alias Dieter Schumann aus Erfurt, der interessante historische Musikinstrumente vorstellte. Einige davon durften die Kinder sogar selbst spielen. Das ungewöhnlichste Instrument, das wohl noch nie jemand gehört und gesehen hatte, war ein klingender Spaten.

Als ältesten Festbesucher begrüßte Bürgermeister Roland Panitz – wie andere Akteure in historisch anmutender Kleidung – den 88-jährigen Jochen Huhn aus Ascherhütte. Der hatte vor über einem halben Jahrhundert die Waldecker Buchen erforscht und in einer Arbeit zur Forstingenieur-Prüfung beschrieben.

Was sich einst am Weimarer Hof abgespielt hat, während sich Goethe in Waldeck amüsierte, das plauderte Kammerherr Melchior von Stollberg alias Bernd Kemter aus. Vor allem die liebreizenden und auch boshaften Frauenzimmer hatte er dabei im Blick. Gekonnt unterstützt wurde er von „Hofmusikus“ Cornelius Hermann, der sein Cello jahrzehntelang bei den Salzburger Festspielen erklingen ließ.

Am Ende waren Bürgermeister Roland Panitz und alle anderen Akteure und offensichtlich die knapp 500 Besucher recht zufrieden, so dass sie sich durchaus vorstellen können, dass dem 1. Waldecker Goethe-Tag weitere folgen werden.

Angelika Kemter

Herbstausflug an den Geiseltalsee

Herbstausflug an den Geiseltalsee und nach Bad Lauchstädt am 20. September 2014

Bei schönem Wetter fuhren wir an den Geiseltalsee. Die Stimmung war von Anfang an prächtig, und alles klappte wie am Schnürchen. Auf dem Programm stand zunächst eine Fahrt mit dem bunten Geiseltalexpress, den wir eigens für uns gemietet hatten. So begann die etwa 40 Kilometer lange Fahrt rund um den größten künstlichen See Deutschlands (eigene Angaben des Veranstalters). Auf der asphaltierten Piste begegneten uns Radfahrer und Wanderer. Kaum zu glauben, dass noch vor zwei Jahrzehnten diese Gegend infolge Tagebau wie eine Mondlandschaft aussah. Mittlerweile hat sich die Natur – mit Hilfe des Menschen – wieder vieles zurückgeholt. Wir fuhren an vielen schönen Büschen – u.a. Sanddorn, Hartriegel, Pfaffenhütchen, Rot- und Weißdorn – vorbei, der unmittelbare Uferbereich ist mittlerweile schon von Röhricht und anderen Wasserpflanzen bewachsen. Tafeln informieren über untergegangene Dörfer, die einst dem Bergbau weichen mussten.

Dann gab es den angekündigten Halt an einer Raststätte. Sie ist etwas Besonderes: Kaum zu glauben, aber hier, nördlich der Unstrut-Anbauregionen wächst Wein. Die Winzerfamilie ist gewiss ein großes Risiko eingegangen, aber es hat sich gelohnt. An sanftem Hang ziehen sich die Weinstöcke. An der hölzernen Baude haben wir natürlich den Wein gekostet und können ihn nur empfehlen. Nun ging die Fahrt weiter, sie dauerte insgesamt etwa zwei Stunden, ehe wir zu unserem Ausgangspunkt zurückkehrten.

Jetzt hieß unser nächster Ort Bad Lauchstädt. Die Flotow-Oper „Martha“ stand auf dem Programm. Das Liebhabertheater ist wegen Sanierung noch von Planen umhüllt. Die Inszenierung selbst hat uns in höchstem Maße gefallen. Erstaunlich auch, wie geschickt die Musiker – immerhin ein größeres Kammerorchester – im kleinen Saal nicht nur vor der Bühne, sondern auch auf den Emporen verteilt wurden. Auf diese Weise kam eine ganz eigentümliche Akustik zusammen. Die Darbietungen der Sänger waren vom Allerfeinsten, natürlich vor allem bei den bekannten Arien wie „Letzte Rose“ oder „Martha, du entschwandest“. Manchem von uns traten Tränen in die Augen.

Nach dem Abendessen fuhren wir etwas melancholisch gestimmt – selbst der Busgesang blieb diesmal weitgehend aus – nach Gera zurück.

B. Kemter

„Der Köstritzer Liederdichter Julius Sturm“

Vortrag von Barbara Dölitzsch, Gera, am 3. September 2014

Julius Sturm wurde am 21. Juli 1816 in Bad Köstritz als ältester von fünf Brüdern geboren. Sie alle leisteten recht viel für Bad Köstritz, Gera und Umgebung. Ein Onkel oder der Vater prägten einmal das Wort: „Fünf Stürme brausen durch das Land“.

Die Referentin zieht das Werk von August Sturm, Julius‘ Sohn, als Zitatengrundlage heran. Die Zeit als Hauslehrer waren prägend für Sturms Entwicklung. So raf er 1841 auf eine Familie mit sechs Kindern. Die Eltern besaßen ein Hotel, waren hochgebildet. In den Wintermonaten abends erwartete die Kinderschar von ihm Märchen. Nachdem Grimm „durch“ war, wurde Sturm selbst zum Märchendichter.

Nach Kahnfahrten auf dem Neckar nahe Heilbronn kam mann zum Weinsberg, an dessem Fuß sich das Haus des Dichters und Geistersehers Justinus Kerner befand. Hier wurde Sturm von seinem Prinzipal eingeführt, wo er mit vielen literarischen Größen, so Uhland, David Strauß und Lenau, der hier einen Teil seines „Faust“ dichtete. Kerner erzählt: „Sturm war ein gern gesehener Gast. Aus Bescheidenheit blieb er aber — ein eher seltener Gast.“

Sturm erhielt eine Anstellung beim Kammerherrn von Metsch, wurde Erzieher von zwei acht- bzw. neunjährigen Knaben. Er gehörte zum Familienkreis. Durch häufige Einladungen gestaltete sich die Unterrichtsgestaltung sehr schwierig. Die Kinder liebten ihn. Die gesamte Familie – und mit ihr auch Julius Sturm – erkrankte schwer. Das fromme Lied „Ich halte still“ stammt aus dieser Zeit.

Sohn August fand in einem schwarzen Büchlein viele Lieder, die sich direkt auf den Tod von Julius‘ Frau, Augusts Stiefmutter, beziehen. Dies kann man ebenfalls als Ursprung für die frommen Lieder sehen.

Beide hatten eine glückliche Ehe geführt. Sohn August schreibt von einer äußerst liebevollen Mutter. Nach dem Tod ihres ersten, eigenen Kindes wandte sie sich umso liebevoller dem Kind ihrer Schwester, August, zu.

In Göschitz lebten Julius Sturm und seine Gattin Clara als echtes Dorfpfarrer-Ehepaar mit den Bauern des Ortes einträchtig zusammen. Für den außerordentlich naturverbundenen Sturm muss hier der Garten Eden gewesen sein. Für diese Zeit in Göschitz war er sehr dankbar, kam er doch mit einer weiteren Bevölkerungsgruppe in Kontakt, die der Natur ihre Erzeugnisse mühsam abringen mussten.

In Göschitz entstanden viele seiner Märchen, übrigens oft unter dem Pseudonym Jul. Stern veröffentlicht. Wieder machte das Unglück vor dem Pfarrhaus nicht halt. August Sturms Brüderchen Johannes starb an Scharlach.

Später charakterisiert Sohn August seinen Vater trotz allem als lebensbejahenden humorigen Menschen, der gern auch mal im frohen Kreis der Zecher feierte, so im Geraer „Schwarzen Casino“, auf dem Köstritzer Bahnhof oder bei August, der in Naumburg ansässig war, beim dortigen „Schweren Wagner“.

In Köstritz bezog Sturm zunächst eine Wohnung in der alten Pfarre. Hier lebte die Familie mit Schwiegervater Schottin zusammen. August beschreibt es als Kinderparadies. Das geliebte alte Pfarrhaus musste abgerissen werden, da eines Tages die Decke einbrach. Sturms Lieblingsspaziergang führte ihn immer durch den schönen Park. Von dort ging es auch auf den „Poetenweg“ in die Landschaft, zum Beispiel zu den „Drei Heiligen“, zur Oelsdorfsmühle oder zu den Zwergenhöhlen, deren Sagen Sturm besungen hat.

Sturms dichterisches Schaffen war oft mit sehr viel Leid durchdrungen. Auch gesundheitlich stand es mit ihm nicht zum Besten. Die teuren Kuren in Karlsbad wirkten bei ihm nicht allzu sehr.

In den Jahren in Bad Köstritz entstand eine Vielzahl seiner Dichtunge, zum Teil für seine Kinder Heinrich und Anna und später für seine Pflegetochter Marie Böhme. Mit Prof. Saupe entstand eine „Poetik“ und die „Lutherbilder“, allerdings unter anderem Namen. „Das Buch für meine Kinder“ enthielt Fabeln, Lieder, Märchen.

Bezeichnend für die Familie Sturm war der enge und wohl auch herzliche Kontakt zu der reussischen Fürstenfamilie.

Hier ein Beispiel seiner Dichtungen:

Der Bauer und das Kinderparadies

Der Bauer steht vor seinem Feld

und zieht die Stirne kraus in Falten:

„Ich hab‘ den Acker wohl bestellt,

auf reine Aussaat streng gehalten;

nun sehr mir eins das Unkraut an!

Das hat der böse Feind getan,“

Da kommt sein Knabe hoch beglückt,

mit bunten Blüten reich beladen;

im Felde hat er sie gepflückt,

Kornblumen sind es, Mohn und Raden.

Er jauchzt: „Sieh Vater, nur die Pracht!

Die hat der liebe Gott gemacht.“

Und ein weiteres:

Die Affen und die Flinte

Ein Jäger schlief; sein Schlaf war tief und schwer;

dicht neben ihm im Wald lag sein Gewehr.

Da schlichen Affen leise sich heran

und um die schöne Flinte war’s getan;

sie schleppten heimlich das Gewehr mit fort

tief in den Wald an einen sich’ren Ort.

Hier sprach ein Äffchen: „Seht doch, habt wohl acht,

dies Ding hat vielen von uns den Tod gebracht.“

„Hm!“ brummt ein vielgereister Pavian,

„ihr starrt das Ding hier voll Entsetzen an,

das bringt uns arme Tiere nur in Not,

doch wenn der Mensch erst sein Geschlecht bedroht,

dann nennt er noch ganz andre Waffen sein,

die hundertfachen Tod auf einmal spein;

und wer ein neues Mordgewehr ersann,

der gilt bei ihm als hochberühmter Mann.“

„Dann ist’s ein Glück“, rief froh ein Affenkind,

„dass wir nur Tiere und nicht Menschen sind.“

Allerdings verfasste Sturm, Verehrer Bismarcks, auch durchaus kriegerische Lyrik, nach dem Krieg mit Frankreich 1870 entstanden „Kampf- und Siegesgedichte“. Allerdings hat er später einiges davon relativiert.

Lesung „Schwarzes Eis“

Lesung von Sergej Lochthofen, Erfurt, am 28. August 2014

Zu Goethes Geburtstag hatten wir uns einen prominenten Gast eingeladen: Sergej Lochthofen, ehemaliger Chefredakteur der „Thüringer Allgemeinen“, Autor von „Schwarzes Eis“.

In diesem Roman beschreibt Lochthofen die Verbannung seines Vaters ins Straflager Workuta, in dem er schwere Jahre bei zahlreichen Entbehrungen verbringen musste. Sergej Lochthofen hat dort seine Kindheit verbracht.

Zwischen Gulag und Mauer, ein Leben im Schatten der „Großen Utopie“, so lautet der Leitgedanke des Romans (eine Genrezuordnung, die S. Lochthofen nicht so sieht und dennoch zutrifft).

Im Klappentext heißt es: Es ist 1937, das Jahr des Großen Terrors. In den Morgenstunden des 22. Oktober schlägt es an die Tür einer Wohnung in Engels, einer Stadt an der Wolga. Sie sind gekommen, ihn zu holen. Ihn, Lorenz Lochthofen, den Emigranten aus Dortmund. Anfang der dreißiger Jahre ist er in die Sowjetunion gegangen; er träumt von einer besseren Welt. Jetzt wird er unschuldig verurteilt und nach Workuta geschickt, jener Insel des Archipels Gulag hinter dem Polarkreis, die zum Grab für 250 000 Häftlinge wird. Nach 20 Jahren Lager und Verbannung kehrt er nach Deutschland zurück und ist überzeugt, dass er in der DDR gebraucht wird. Gibt es für ihn eine zweite Chance?

Der Sohn erzählt die Geschichte des Vaters: ein außergewöhnliches Buch über das 20. Jahrhundert, über Deutschland und Russland und über die ebenso stimulierende wie zerstörerische Kraft einer Utopie, die weltweit Millionen in ihren Bann schlug.

Lochthofen verstand es, die Zuhörer zu fesseln. Er rezitierte eloquent nicht nur Passagen aus seinem Buch, sondern wusste seine Lesung auf originelle Weise zu ergänzen. So weckte das mitgebrachte alte Grammophon die Neugier des Publikums. Alte Schlager waren zu hören, vor allem aus der Sowjetzeit. Sie verbanden auf eigentümliche Weise die heile Welt des Draußen mit dem stets bedrohten Leben im Gulag. Auch auf aktuelle Ereignisse ging Lochthofen ein, insbesondere auf den Russland-Ukraine-Konflikt. Dabei stießen seine Einschätzungen nicht immer auf Zustimmung. Das Publikum stellte zahlreiche Fragen an den Referenten und nutzte ausgiebig die Gelegenheit, Bücher signieren zu lassen.

Die Geraer Goethefreunde freuten sich über einen brechend vollen Saal, der eine glückliche Referentenwahl eindrucksvoll unter Beweis stellte.

B. Kemter

Sommerfest in Reichenfels

Sommerfest am 12. Juli

An diesem Sonnabend feierten wir unser tradtionelles Sommerfest an einem ungewöhnlichen Ort. Familie Berling, Eigentümer der Lochmühle in Hohenleuben/Reichenfels, gewährte uns ihre Gastfreundschaft. Von unseren Kulmbacher Literaturfreunden nahmen diesmal leider nur Friederike und Klaus Köstner teil, da viele Mitglieder unserer Kulmbacher Stammbesucher in Urlaub oder aus anderweitigen Gründen verhindert waren.

Hochinteressant war die Führung durch die Mühle, die Familie Berling mit Hilfe ihrer Freunde über Jahre hinweg liebevoll restauriert hatte. Wir besichtigten zunächst das Wehr, das von den damaligen Müllern sehr überlegt angelegt wurde, um das nötige Gefälle für den Mühlenbetrieb erreichen zu können. Anheimelig war es in der Müllerstube, auch machten wir uns mit der eigenen Stromerzeugung per Wasserkraft vertraut.

Reichefels war aber auch einer der wichtigen Wirkungsorte des legendären Bauerngenerals Georg Kresse, der während des Dreißigjährigen Krieges marodierende Landsknechte bekämpfte und den Armen half. Dazu gibt es eine neue Publikation, die in unserem Kreise vorgestellt wurde..

Zum Mittagsimbiss gab es Baguette und von Geli selbst angerichtete Cremes, was allen gut mundete.

Danach begann der für manche doch etwas beschwerliche Weg zur Burgruine Reichenfels. Wir besichtigten das Museum, und Erika Seidenbecher las dort aus ihrem Georg-Forster-Roman. Natürlich ließen wir hoch oben von der Burgruine unseren Blick über die idyllische Landschaft schweifen.

Danach besichtigten wir in der Hohenleubener Kirche das riesige Kalvarien-Gemälde (5,20 m x 8,70 m) des Gothaer Hofmalers Paul Emil Jacobs (1802 – 1566). Er schenkte sein Bild der Augustinerkirche in Gotha. Es verstaubte auf dem Dachboden. Nach der Wende fand sich ein geeigneter Platz nur in Hohenleuben. Seit 1998 kümmerte sich ein Förderverein um die aufwendige Restaurierung. Wir bedanken uns bei unserer Führerin von der Kirchgemeinde für ihre Erläuterung und bei Pfarrer Kummer für die Bereitstellung des Saales für unser Konzert.

Nach diesen beiden Ereignissen ließ wir uns Eis, Kuchen und Kaffee in der Eisdiele schmecken.

Anschließend begaben wir uns in die Mühle zurück. Dort erwartete uns ein reichhaltiges Büfett. Bei anregenden Gesprächen vergingen die letzten Stunden bis zur Abfahrt des Zuges wie im Fluge.

Wir bedanken uns herzlich bei Familie Berling für ihre herzliche Gastfreundschaft.

B. Kemter