Vortrag von Dr. Dieter Strauss, Offenbach, am 4. Mai 2022
„Alexander nötigt uns zur Naturwissenschaft“. Dieses Lob stellt das wichtigste Verhältnis zwischen Goethe und Alexander von Humboldt ins Licht. Im März 1794 besuchte der Dichter in Jena die beiden Brüder Alexander und Wilhelm, der wiederum mit Friedrich Schiller befreundet war. Aus dem Zusammentreffen dieser vier Geistesgrößen entstand die „Kleine Akademie“; ein reger Gedankenaustausch insbesondere zu naturwissenschaftlichen Fragen.
1799 bis 1804 unternahm Alexander von Humboldt seine Südamerika-Reise. Goethe hat diese Unternehmung leidenschaftlich verfolgt, alles über sie gelesen. Humboldt erkletterte den Chimborazo in Ecuador. Er gelangte im Urwald bis an die Grenze Brasiliens, das er nicht betreten durfte. Er musste sich auf die Westküste der spanischen Kolonien bis Lima beschränken. Doch durch diese Reise wurde er gewissermaßen ein Weltstar, gemäß „Faust“ (Manto in der Klassischen Walpurgisnacht): „Den lieb‘ ich, der Unmögliches begehrt!“ Hier wäre auch die große Brasilien-Expedition des Georg Heinrich von Langsdorff zu nennen, der dieses Land zwischen 1822 und 1829 bereist hat. Bei Strauss‘ Remake in den 90-ern waren wie bei Langsdorff Künstler dabei, die ihre Eindrücke in Zeichnungen und Installationen festgehalten haben. Humboldt kam 1829 auch nach Russland, bis an die mongolische Grenze.
Zurück zu Südamerika. Er reiste auch durch Venezuela, östlich von Caracas: „Ich fühle es, dass ich hier sehr glücklich sein werde.“ Es ging ihm nur um Erkenntnis, nicht um Geld und Gold. Humboldt hat seine Forschungsreise selbst finanziert, nur für die Russlandreise kam Zar Alexander auf. Humboldt reiste auf dem Amazonas und dem Rio Negro. Er wollte experimentieren und fragen, fühlen und schmecken. Beispiel: Die Indios konnen 15 Baumrinden-Arten mit verbundenen Augen auseinander halten. Sein Credo gemäß „Faust“:
Geheimnisvoll am lichten Tag
Lässt sich Natur des Schleiers nicht berauben,
Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,
Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.
Es sollen aber auch poetisch-künstlerische Darstellungen zu ihrem Recht kommen. So sieht Goethe den Alexander von Humboldt als einen Augenmenschen mit Gefühl.
Humboldt gelangt in Einbäumen bis zum Amazonas, muss aber abbrechen. Er besucht Kuba, den Nordwesten Südamerikas, Mexiko bis Washington, weilt zu Besuch beim US-amerikanischen Präsidenten Jefferson. Er folgt im Juni 1799 dem Ruf des spanischen Königs nach Teneriffa, besteigt dort den Vulkan Teide. Er ahnt schon: Alles ist in Bewegung, alles hängt ab vom Klima und von der Bodenbeschaffenheit. Wenn nicht gottgegeben, bleibt die Erde gottentvölkert und der Himmel leer. Er verurteilt die Sklaverei als Schande und Unfug. Er kauft zwei Sklaven und lässt sie frei. Er bricht zum Orinoco und Rio Negro in Richtung Amazonas auf. Auch besuchte er die Curacao-Hato-Höhlen in der Karibik, die entflohenen Sklaven als Zufluchtsort dienten. Dort beobachtete er Vögel und Eulen. Den Indios gelten die Höhlen als Ort der Seelen ihrer Vorfahren, und Humboldt respektierte dies. Er besuchte die fruchtbaren Aragua-Täler und den Valenciasee in Venezuela. Dort kommt er zu dem Schluss, dass die Zerstörung der Urwälder durch die europäischen Ansiedler die Quellen versiegen lässt; zumindest nehmen sie stark ab. Er ahnt den Klimawandel. Das Gebiet wird später zum Nationalpark Venezuelas.
Im März 1800 besucht Humboldt den Orinoco, den zweitgrößten Fluss Südamerikas, die Katarakte von Atures und Maipone im Orinoco. Er besucht Höhlen, stellt dort Skelette fest, die in Körben hängen. Er stiehlt einen Schädel, schickt ihn zum Göttinger Prof. Blumenbach zur Analyse. Er stellt sich die Frage, ob es eine direkte natürliche Verbindung zwischen Rio Negro und Orinoco geben müsse. Die Geographen verneinen. Es liege ein Gebirge dazwischen. Aber offensichtlich entdeckt Humboldt einen Kanal. Auf Kuba kritisiert Humboldt das Zurückdrängen der Subsistenzwirtschaft zugunsten von Monopolpflanzen wie Kaffee und Zuckerrohr. Nun besichtigt er den Magdalenenstrom und gelangt nach Bogota.
Die großen Mühen fordern ihren Tribut. Geschwüre, Verletzungen, Atemnot stellen sich ein. Dem Chimborazo kommen sie, er und der Arzt, Botaniker Bonpland auf 5000 Metern nahe Die Träger laufen davon. „Mit der Natur lässt sich nicht spaßen.“ Beim Abstieg erblicken sie den Gipfel des Chimborazo. Es entsteht eine Zeichnung. Im Oktober 1802 gelangt Humboldt über Lima nach Guayaquil; Stadt mit dem wichtigsten Hafen Ecuadors. .Er erforscht dort den späteren Humboldtstrom. Die weitere Reise führt ihn 1803/04 nach Mexiko. Er bewundert den dortigen Botanischen Garten, verurteilt nochmals die Sklaverei. Anfang August 1804 gelangt er nach Bordeaux, seine Reise ist zu Ende. Exemplare von 2000 neuen Pflanzenarten und Hunderte Gesteine bringt er mit. Er verfasst zwischen 1807 bis 1827 dreißig Bände über seine Reise, zunächst auf französisch. Die deutsche Ãœbersetzung ist schlecht. 1827 muss er nach Preußen zurück, er fürchtet Berlin wie die kurische Sandwüste. Aber er mischt Berlin auf. Er hält gut besuchte Vorlesungen in der Singakademie, regt die Gründung des Botanischen Gartens an. Und er organisiert 1828 in Berlin einen wissenschaftlichen Kongress. Goethe begleitet diesen Kongress „im Geiste“. Das letzte Treffen mit Goethe findet 1831 statt. 1828 war allerdings das wichtigste Treffen.
Goethes Reisen in die Neue Welt haben sich hingegen nur in sdessem Kopf abgespielt.