Emerenz Meier – bayerische Dichterin und Feministin
Vortrag unseres Mitglieds Angelika Kemter am 5. November 2014
„Ohne Meier keine Feier“, sagte man bei uns zu Hause, denn unser Musiklehrer Meier war zugleich Leiter von Chor und Blaskapelle…
In meinem Bekanntenkreis gibt es drei Meyers, zwei mit e-y, einer mit a-i.
Emerenz Meier, um die es heute gehen soll, schreibt sich ganz simpel mit e-i. Der Meier-Varianten gibt es viele und der Name ist verbreitet wie Sand am Meer. So war es denn auch nicht der Famileinname, sondern der Vorname dieser Frau, der mich lockte, mich mit ihr zu beschäftigen.
Emerenz – nie gehört zuvor, ehe ich im Fernsehen eher zufällig den Film “Wildreuer” gesehen hatte
Das Lexikon gibt Auskunft: Emerenz kommt vom Lateinischen und (Afghanischen). “emereor” heißt “verdienen, würdig sein”, der Vorname also “die Würdige, die Verdienstvolle”.
Emerenz Meier ist – zumindest laut Wikipedia – die einzige bekannte Persönlichkeit, die diesen Vor-Namen trägt. Sie gilt als die bedeutendste bayrische Volksdichterin. Aber das war nicht immer so. Sie musste sich diesen Status zäh erarbeiten, wenngleich sie auch als Naturtalent bezeichnet wird.
Geboren wurde die “SENZ” (das ist wohl die bayrische Koseform von Emerenz) am 3. Oktober 1874 in Schiefweg bei Waldkirchen in Niederbayern – also im tiefsten Bayrischen Wald, wo damals verbreitet tiefe Armmut herrschte. Sie war das fünfte oder sechste Kind (die Angaben gehen auseinander) des Land- und Gastwirts Josef Meier und seiner Frau, die ebenfalls Emerenz hieß. Die Dichterin wäre also vor einem Monat 140 Jahre alt geworden.
Gestorben ist Emerenz Meier am 28. Februar 1928 in Chikago.
Ob ihre Eltern schon bei ihrer Geburt geahnt haben, dass sie einst eine Verdienstvolle, Würdige sein wird?
Zumindest hatten sie sich die Verdienste ihrer Tochter sicher nicht auf dem Gebiet der Dichtkunst vorgestellt. Sondern eher als Landwirtin oder Gastwirtin.
Trinkfest soll sie ja gewesen sein. Das zeigt auch eine Begegnung der “dichtenden Wirts-Dirn” mit der Bayrischen Regentenfamilie. Als sie am königlichen Hof in München empfangen worden war, soll Prinzessin Therese sie gefragt haben, wie es sich am besten dichtet. Emerenz’s Antwort: “Wenn ich eine Maß Bier getrunken hab.” (So gibt es “Die Zeit online – Kultur” wieder). Bei RegioWiki wird die Szwene etwas anders wiedergegeben: Prinz Ferdinand habe die Emrenz nach dem Grund ihres vor Gesundheit strotzenden Aussehens gefragt. Sie habe geantwortet: “Weil i alle Tage meine drei Maß Bier trink”.
Besonders ihr Vater soll – zumidest anfangs – nicht begeistert gewesen sein als sich seine Tochter begann, sich mit Literatur zu beschäftigen. Die sollte sich lieber um die Gänse und die Gäste kümmern, das Feld mit bestellen und Brotzeiten servieren.
Die schwere Arbeit in der Landwirtschaft und im Gasthof ließ auch nicht viel Zeit zum Dichten, aber Emerenz nutzte offenbar jede freie Minute. Obwohl sie auch zu manchem Jubiläum auf Bestellung Gedichtchen verfasste, wurde sie von den Dorfbewohnern als “Narrische Versel-Macherin” verhöhnt.
Sie verteidigt sich – natürlich mit Gedichten wie diesem:
Es hat a jeder a dumme G’wehnat
Es hat a jeder a dumme G’wehnat,
Die er gern bleib’n liaß‘, wann er’s oft kennat.
Und renntst ‚hn aufi, hoaßt’s: »Dös is mei‘ Sach!
I kann’s nöt lass’n, mi g’freut’s halt einfach.«
Der möcht gern singa und kennt koa Not’n,
Der ander‘ wildert, is streng verbot’n,
Der dritt‘ geht fisch’n, ja nöt in sein‘ Bach,
Steht aar a Straf‘ drauf, eahm g’freut’s halt einfach.
I hätt‘ vo kloa auf a Freud zum Dicht’n,
Und pfeifen alle auf meine G’schicht’n.
Doch wann i glei‘ koan‘ Schenie nix drei mach,
Und nix g’studiert bin, mi‘ g’freut’s halt einfach.
Und hier Nummer 2:
Unverbesserlich
Der Vater verbot mir das Dichten,
Das Mütterchen stimmte mit ein:
Ich soll nach dem Stande mich richten,
Die Bücher dem Backofen weih’n.
Wohl hab‘ ich es heilig versprochen,
Zu tun, was ihr Wille gebeut,
Das Wort hundertmal doch gebrochen,
Das Schwören noch öfters bereut.
Doch gestern, zu Tränen gerühret,
Erneut‘ ich es nochmals bei Gott,
Durch Bitten und Drohen verführet
Und weiter durch peinlichen Spott.
Ich ging in die dunkelste Kammer,
Hielt über die Verse Gericht,
Verfaßte dann in meinem Jammer
Verstohlen dies Klagegedicht.
Aber als 1893 – da ist sie 19 Jahre alt – erscheint ihre erste Erzählung “Der Juhschroa” (der Juhu-Schrei) in der Donau-Zeitung. Als sie nun auch noch das erste Honorar auf den Tisch blättern konnte, da soll der Vater sie ermuntert haben zum Weitermachen mit den Worten “Schreib, Senzl. Schreib!” (Zitat Die Zeit Online)
In dem 1991 gedrehten Film „Wildfeuer“ (Buch und Regie Jo Baier) ist es allerdings noch so dargestellt, dass der Vater das Dichten für Zeitverschwendung hält. Emerenz verlässt nach einem Streit mit ihm das Haus, schlägt sich als Tagelöhnerin durch und als Bedienung in einem Gasthaus. Sie gerät an einen reichen Passauer Brauereibesitzer Alfons Helmberger, der sie zu seiner Geliebten macht und für die Veröffentlichung ihres Fotos und eines Gedichts in der Pasauer Zeitung sorgt. Vor einem Theaterwettbewerb kauft er alle Eintrittskarten und verschenkt sie an ausgesuchte Leute, die Emerenz mit ihrem Beifall zum Sieg verhelfen… Später kehrt Emerenz ins Elternhaus zurück. Die Familie ist inzwischen verarmt und verlässt – wie so viele andere in dieser Zeit – ihre Heimat, wandert nach Amerika aus, um dort ihr Glück zu suchen.
Diesen Film “Wildfeuer” habe ich vor zwei, drei Jahren spätabends im Fernsehen gesehen. Danach wollte ich einfach mehr zu dieser Frau wissen. Ob es sie wirklich gab. Ob es stimmt, was da gezeigt wird?
Offenbar vieles, weiß ich inzwischen. Den Brauereibesitzer hat’s gegeben – in der Realität heißt er Hellmannsberger. Ebenos die Veröffentlichungen, das Theaterstück und auch die Auswanderung. Aber dazu später.
Ein weiterer Film mit dem Titel „Schiefweg“ (vom gleichen Regisseur Jo Beier 1988 gedreht), zeigt Szenen aus der Kindheit der Emerenz Meier. – Von Beier habe ich übrigens auch den sehr interesanten Film “Schwabenkinder” gesehen. “Schiefweg” zeigt das harte Leben auf dem Land im Bayerischen Wald, von dem Emerenz Meier geprägt wurde.
Das spiegelt sich in ihren Werken wieder.Zum einen beschreibt sie Naturerlebnisse und ländliche Idylle, zum anderen schildert sie sehr eindringlich und ohne schnörkel die Nöte der Menschen, die schwere Arbeit, das Alltagsleben.Hier einige Beispiele:
Herbst
Im Herbstwind rauscht der Wald, die Zweige beben
Vor seinem Hauch, der frisch von Norden zieht.
Die Vöglein all die Stimmen sanft erheben
Zum letztenmal, zum trüben Abschiedslied.
Vom Baume fällt das bunte Laub und flüstert
Vom Sterben und von unbarmherz’ger Zeit.
Auf Busch und Moos der Abendschatten düstert
Und überm Hang macht sich der Nebel breit.
Zu Tal in raschem Laufe eilt die Quelle.
Ja eile nur, bald hemmt der kalte Frost
Dich Felsenkind; zu Eis erstarrt die Welle
Und stille wird’s, wo sonst du froh getost.
Geh heim, du müder Pilger dort am Raine,
Eh’s Winter wird. Zieht dich die Sehnsucht nicht
An warme Herzen? – Oder weißt du keine
Die auf dich warten in des Herbstes Licht?
Pilze
Bunte Pilze sind die Kindchen,
Die dem Mutterschoß der Waldung
In den feuchten Sommernächten
Gleich zu hunderten entsprießen.
Und sie gucken zwerghaft niedlich
Unter breiten Faltenhütchen,
Ducken sich ins Moosgewoge,
Bange vor der kleinsten Schnecke.
Schnecken kommen viel gezogen.
Hei, wie freu’n sie sich der Beute!
Fressen, daß die Bäuche schwellen
Von des Pilzlings rundem Rücken.
Halt, da greifen weiche Tatzen
Fünfgefingert nach den Pilzen,
Ziehen sie vom Mutterbusen,
Stecken sie ins runde Körbchen.
Und da schauen sie einander
Rund verwundert und verängstigt
An und flüstern: Ach was wird nun –
Wird nun wohl mit uns geschehen?
Väterliche Ermahnung
Mein Sohn, und wenn ich sterbe,
Dann erbst du Geld und Haus
Und suchest dir zum Weibe
Das schönste Mädchen aus.
Mein Sohn, und wenn ich liege
Vermodert längst im Grab,
Dann jagst durch deine Gurgel
Du Geld und Haus hinab.
Mein Sohn, und das ist bitter.
Für was hätt‘ ich gespart
Und meinen alten Magen
Mit Wasser nur genarrt?
Mein Sohn, und laß dir sagen,
Ein Glück, daß ich noch bin
Und selbst mein Teil kann tragen
Zur Hirschenwirtin hin!
Wödaschwüln
Mi würgt der Wind, mi druckt der Tag –
Hü, meine Öchsl, hü!
Schwül wirds, es kimmt a Wödaschlag.
Hü, meine Öchsl, hü!
Der Acker hat an hirtn Bodn,
Der Mähnt* koan Gang, der Pfluag an Schodn –
Hü, meine Öchsl, hü!
Mi würgt der Wind, mi brennt der Tag!
Hott, meine Öchsl, hott!
Und daß mi ’s Mensch iatzt nimmer mag? –
Hott, meine Öchsl, hott!
Es hat – i moan – sein guatn Grund,
Und wann i ‚hn net derstich, den Hund,
Den schlechtn, straf mi Gott!
Mei Mensch is schö, drum gfallts eahm guat.
Wüah, meine Öchsl, wüah!
A Messer und fünf Stich gibt Bluat.
Wüah, meine Öchsl, wüah!
Zua bis aufs Heft und ummadraht,
Verfluachter Lump, wia wohl dös taat!
Wüah, meine Öchsl, wüah!
Und bist so schö, du schwarze Dirn,
Zauf, meine Öchsl, zauf!
Und hast so krauste Haar ums Hirn,
Zauf, meine Öchsl, zauf!
Und lachst so süaß und schaust so fei,
Und kannst so falsch und elend sei!
Zauf, meine Öchsl, zauf!
Mi würgt der Wind, mi brennt der Tag!
Aoh, meine Öchsl, aoh!
Muaß ’s sein, daß i dös ewi trag?
Aoah, meine Öchsln, aoh!
Der Dunner kracht, es blitzt und brennt,
Schlag, Herrgott, ein und mach an End! –
Aoh, meine Öchsl, aoh!
Besonders das Los der Frauen wie sie es selbst erlebte, greift sie immer wieder in ihren Arbeiten auf und macht sich so zu ihrer Anwältin. In ihren Gedichten und Geschichten merkt man deutlich, dass sie genau kennt, wovon sie schreibt. Dass sie es selbst erfahren oder in ihrer Umbebung beobachtet hat.
Wenn sich ein Weib aus der Herde hebt
Wenn sich ein Weib aus der Herde hebt
Und nicht nach der alten Schablone lebt,
Dann soll’s von der Menge gesteinigt werden,
Wie es Gesetz ist und Brauch auf Erden.
Doch gab man ihm eine Gnadenfrist,
Solang es jung und sauber ist,
Erst wenn sich’s zur alten Jungfrau entwickelt,
Wird es gekreuzigt, darauf zerstückelt.
Und hat sich ein Mann ein Weib erwählt,
Das mehr versteht als er von der Welt,
Mag es sein Haus sonst auch wohl verseh’n,
Der Scheidung soll nichts entgegensteh’n.
Denn der Mann sei weise, das Weib sei dumm,
Solch alte Gebote stößt man nicht um,
Heißt doch in jedem Fall er der Ernährer,
Auch wiegt sein Gehirn um einiges schwerer.
Und wenn von dem Alten Testament,
Man sonst schon das meiste erlogen nennt,
Die eine Wahrheit bleib unberochen:
Gott schuf die Eva aus Adams Knochen.
Zuviel ist dem Weibe bereits erlaubt,
Die Türkin trägt heut noch im Sack ihr Haupt.
Hier will sie Arzt sein und Pillendreher,
Lehrer, Jurist und Schaltersteher.
Gefährdet durch Weibes Intelligenz
Ist heut der Männer Existenz,
Ihr Ansehen flieht wie der alte Glaube
An ihre Kraft und ans Glück der Haube.
Doch tausend noch halten am alten Recht
Und schreien: Nieder mit dem Geschlecht,
Dem dritten, Wolzogens‘ Kampfgenossen,
Es sei verachtet, verfemt, verstoßen.
Ja, fort mit jeder, die emanzipiert,
Auf selber gebahnten Pfaden irrt,
Man schichte Scheiter, man werfe Steine,
Denn die Welt schuf Gott, für den Mann alleine.
Und was hat das alles nun mit Goethe zu tun, schließlich sind wir die Goethe-Gesellschaft. Warum beschäftigen wir uns mit dieser Frau aus dem vorigen Jahrhundert?
Zumindest hat sie Goethe gelesen und auch Homer, Dante, Heine, Schiller … Nämlich als sie fünf Jahre lang die Volksschule der Englischen Fräulein in Waldkirchen besucht. Schon im Alter einer Grundschülerein soll sie sich Werke der Klassiker besorgt und gelesen haben.
Sie ist eine sehr gute Schülerin, wird berichtet. Zwar spielt Literatur in ihrer Umgebung so gut wie keine Rolle, für sie ist das Lesen jedoch eine Möglichkeit, so oft es nur geht, wenigstens für ein paar Minten ausder strengen Hof- und Hausarbeit zu entfliehen. Ihre ältere Schwester Petronilla soll ihr ebenfalls Bücher geliehen haben. Das Lesen regete Emerenz an, selbst kleinere Gedichte zu verfassen.
Sogar an die “großen Dichter” geht Emerenz nicht ohne kritische Sicht heran, zerfließt nicht in Ehrfurcht – wie wir es ja heute auch nicht tun
Stoßseufzer
Hätte Goethe Suppen schmalzen,
Klöße salzen,
Schiller Pfannen waschen müssen,
Heine nähn, was er verrissen,
Stuben scheuern, Wanzen morden,
Ach die Herren,
Alle wären
Keine großen Dichter worden.
1891 übernimmt die Schwester den Gasthof, der Rest der Familie verlässt Schiefweg und zieht in den Nachbarort Oberndorf. Dort erhält Emerenz ein eigenes Zimmer. Das war in jener Zeit vermutlich eine Seltenheit. Dorthin kann sie sich zurückziehen zum Studieren und Dichten. Bald werden ihre Gedichte auch über Bayern hinaus bekannt. Das ist wohl auch Auguste (Gusti) Unertl zu danken, die in Waldkirchen einen literarischen Salon führte. Sie und Emerenz verband eine lebenslange Freundschaft, wenngleich mit einigen Unterbrechungen. Viele Briefe der Emerenz an sie sind erhalten. Der Heimatforscher Paul Praxl schreibt in seinem Buch “Die unbekannte Emerenz Meier” jedoch, dass Meier schon vor der Bekanntschaft mit Unertl publiziet habe und sich der Saloniere überlegen gefühlt habe.
RegioWiki zitiert aus seinem Buch: Schon mit etwa 18 Jahren sei Emerenz “als Persönlichkeit ausgereift gewesen.“ Schon in diesem jungen Alter habe sie kritisch Position bezogen zu den Autoritäten ihrer damaligen Zeit. Dabei rühre eines besonders an: Emerenz Meiers überaus früh entwickelte Sozialkritik, ihr Betroffensein, ihr bedingungsloses Eintreten – selbst zu eigenen Schaden – für Benachteiligte, Notleidendem Außenseier einer defekten Gesellschaft.”
Auch der sich entwickelnde Tourismus kam Emerenz Meier wohl zugute bzw. sie ihm. Es entstanden Postkarten mit ihrem Bildnis, das sie in bäuerlicher Festtagstracht zeigt. (Foto Postkarte zeigen) So soll damals aber keiner der Bauern rumgelaufen sein, las ich. Doch schien es gut fürs Geschäft und bis heute wird ja Touristen weltweit so manches vorgegaukelt. Emerenz wird sozusagen zur touristischen Attraktion, zum “Wundertier”.
Einer der Sommerfrischler war Karl Weiß-Schrattenthal, Professor für Literaturgeschichte. Er brachte innerhalb einer Serie vier Erzählingen von Emerenz 1896 als Buch heraus. Titel “Aus dem Bayrischen Wald”. (Foto Buchtitel zeigen) Es wird zwar von Literaturkritikern hoch gelobt, verkauft sich aber nur schlecht.
Einschub: Heute ist das oft nicht anders, wissen wir. Gerade anlässich der jüngsten Buchmesse las ich, dass viele Autoren am Existensminimum leben bzw. sich mit Hilfe von Ehepartnern oder durch Putzen oder anderen Zweitjobs über Wasser halten. – Aber zurück zu Emerenz.
Als ihren Förderer und Mentor macht Heimatforscher Paxel nach dem Durchforsten zahlreicher lange unbekannter Briefe den gleichaltrigen Medizinstudenten Ludwig Liebl aus. Der ist der Sohn des Waldkirchner Landgerichts-Assesors. Er vermittelte Emerenz Latein- und Steno-Unterricht. Auch als Berater angeboten habe er sich dem Bauernmädchen, das auf alle nur erdekliche Weise seinen Bildungshunger zu stillen versuchte.
Ein anderer Medizinstudenten, der spätere Arzt und Autor Hans Carossa, ist einer ihrer Verehrer. Er war die rund 20 Kilometer von Seestetten bei Passau bis nach Oberndorf gewandert, um die bewunderte Dichterin zu besuchen. Ausführlich berichtet er über die Begegnung in seinem autobiografischen Roman “Das Jahr der schönen Täuschungen”. Darin beschreibt er Emerenz als “sanft rebellenhaft und hingerissen von allem Aufrührerischen”. Die beiden sc hreiben sich auch nach dem Auswandern von Emerenz. Carossa ist vermutlich einer der wenigen, die hinter die Fassade der Volksdichterin bis in ihr Innerstes schauen durften.
Noch mal zu dem eingangs erwähnten Empfang am königlichen Hof zu München. Auf Empfelung der Freundin Gusti Unertl wendet sich Emerenz dahin in der Hoffnungen auf ein Literaturstipendium. Aber das bleib ein Traum. Überleifert ist: Allenfalls können man ihr eine Stelle im Haushalt anbieten und beim Bodenschrubben könne sie ja über neue Geschichten aus dem Bayernwald nachdenken. – Zwar bekam sie 200 Gulden aus der sogenannten Privatschatulle des Prinzen, weil dem wohl die kesse Art der jungen Dichterin gefallen hatte. Aber das reichte nicht zum Studieren und erst recht nicht dazu, freie Schriftstellerin werden.
Dank einer Seminarlehrer-Familie konnte Emerenz bei einem kurzen Bildungsuafenthalt um 1900 in Würzburg Buchhaltung lernen und etwas Englisch und Französisch. Aber die Gastgeber-Familie hatte wohl zu hohe Erwartungen, und so bleibt Würzburg auf einige Monate beschränkt. Denn Dichten auf Befehl kann Emerenz nicht.
Zwischen 1900 und 1902 werden am Stadtheater Passau Bühnenfassungen ihrer Erzählungen “Aus dem Elend und “Der G’schlößlbauer” aufgeführt. Die Kritiken sind schlecht, ebenso der Verkauf ihres Buches. Um Geld zu verdienen, übernimmt Emerenz 1902 mit Hilfe des Brauereibesitzers Hellmansberger das Wirtshaus “Zum Koppenwirt” in der Passauer Altstadt.
In dieser Zeit könnte das folgende Gedicht entstanden sein:
Hans
Hans, was sagte die Mutter zu dir,
Als sie dich so besoffen sah?
Hans, was sagte die Mutter da?
Hans, wie kamst du ihr für? –
Sagte die Mutter: »du volles Schwein,
Warst wohl wieder bei Emerenz,
Die dein Verderben, o Gott, ich kenn’s,
Und dein Ende wird sein!«
Emerenz will das frühere Schifferwirtshaus in eine Künstlerkneipe umwandeln. Jedoch er auch das Dasein als Wirtin geht nicht lange gut. Durch drastische Reden gegen das Militär vergrault sie ihre beste Kundschaft.
Im Oktober 1903 verlässt sie Passau – fluchtartig heißt es, und sie hinterlässt Schulden. Sie geht wieder nach München, wo sie mit Artikeln für die Münchner Neuesten Nachrichten, Erzählungen wie Der Bua oder Texten für die katholische Wochenzeitschrift Deutscher Hausschatz ihren Lebensunterhalt verdient. Dort als Redakteurin zu arbeiten, schlägt sie aus.
Lieber geht sie zurück in den Wald und übernimmt den Hof ihres Vaters in Simpoln bei Fürsteneck. Dennoch schreibt sie gelegentlich weiter für Zeitschriften wie den Simplicissimus.
Die Familie war inzwischen verarmt und entschloss sich auszuwandern. Vater und Schwetern reisten voraus, Emerenz folgte 1906 mit der Mutter nach Chicago.
Aber die Sehnsucht nach ihrer Heimat ist immer gegenwärtig:
Mein Wald, mein Leben
Ich sah den Wald im Sonnenglanz,
Vom Abendrot beleuchtet,
Belebt von düstrer Nebel Tanz,
Vom Morgentau befeuchtet:
Stets blieb er ernst, stets blieb er schön,
Und stets mußt‘ ich ihn lieben.
Die Freud‘ an ihm bleibt mir besteh’n,
Die andern all zerstieben.
Ich sah den Wald im Sturmgebraus,
Vom Winter tief umnachtet,
Die Tannen sein in wirrem Graus,
Vom Nord dahingeschlachtet;
Und lieben mußt‘ ich ihn noch mehr,
Ihn meiden könnt‘ ich nimmer.
Schön ist er, düsterschön und hehr,
Und Heimat bleibt er immer.
Ich sah mit hellen Augen ihn,
Und auch mit tränenvollen;
Bald hob er meinen frohen Sinn,
Bald sänftigt‘ er mein Grollen.
In Sommersglut, in Winterfrost, –
Konnt‘ er mir mehr nicht geben, –
So gab er meinem Herzen Trost;
Und drum: Mein Wald, mein Leben!
Gleich nach ihrer Ankunft in Chicago heiratet sie (Zitat)„den Erstbesten, von dem ich annahm, daß er mir ein gutes Heim bieten könne“. Es ist der Auswander Joseph Schmöller, der wie sie aus dem Bayerischen Wald stammt. In einem Brief schreibt Emerenz zu ihrer Ehe: „Dieses Verbrechen bezahlte ich mit dreijährigem Elend“. Als Joseph Schmöller 1910 an Schwindsucht stirbt lässt er die Witwe Emerenz mit dem gemeinsamen Sohn Joseph-Frank zurück. Später heiratet Emerenz Meier dann den schwedischen Fabrikexpedienten John Lindgren. Mit ihm wird sie einigermaßen glücklich.
Aber das Auswandern nach Amerika insgesamt bringt nicht die ersehnte Erlösung aus Not und Eldend, Im Gegenteil. In “Die Zeit Online” schildert Winkler: “Der Neuanfang wird schnell zur Qual: aus der Schriftstellerin und freigesinnten Waldlerin wird eine Lohnarbeiterin, die ‚jungen, gummikauenden Frauen den Fußboden‘ schrubbt und in Fabriken sexuelle Diskriminierungen über sich ergehen lassen muss.
Winkler weiter: “Während des Ersten Weltkrieges wächst Emerenz Meiers Kritik an Amerika, aber auch an den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in Europa. Meier wandelt sich zu einer überzeugten Kommunistin, die die Weltrevolution herbeisehnt, und wendet sich von der Kirche, wenngleich nicht vom Glauben, ab.”
Weh über die Führer der Nationen
Weh über die Führer der Nationen,
Die Henker im Frack, die Mörder auf Thronen!
Sie machen Geschichte, sie spinnen Netze,
Mit Hilfe der Presse, der feilen Metze.
Wenn faul Republiken und Monarchien,
Nach Freiheit und Aufklärung wird geschrien,
Dann heißt einen schneidigen Krieg erzeugen,
Der Revolution noch schnell vorzubeugen.
Dann treiben die Hirten die Herden zur Weide,
Zum Kampffeld hinaus, rum tollt euch im Streite!
Kühlt euer Mütchen, ein Volk am andern,
Uns aber laßt den Herrenpfad wandern!
Das tötet und würgt uns und wird getötet,
Die ganze Welt ist von Blut schon gerötet,
Sie kämpfen verzweifelt, Mann gegen Mann,
Hat keiner was dem andern getan.
Was hat euch, ihr Völker, mit Blindheit geschlagen,
Wann wird es in euren Gehirnen tagen,
Wann dringt in eure Seelen das Licht
Der echten Freiheit, die liebt, nicht ficht?
In über 50 Briefen und Karten schildert sie eindrucksvoll ihre politische Einstellung und ethisch-moralische Gedanken. An der Sprache – oft vermischt sie deutsche und englisch-amerikanische Worte – werde deutlich, dass sie völlig zur Amerikanerin geworden sei. Sie berichtet über das Eldend der Einwander, darüber, dass sie zu Hause Bier braut (für sich und gute Kunden) und dass sie ständig Altkleider und Geld sammelt für die ktiegs- und Inflatitionsgeschädigten Deutschen.
Der Kontakt zu Carossa reißt nach zwei Briefen wieder ab. Zitat Winkler:
“Sie haben sich endgültig zerstritten, weil er ihren Kommunismus nicht begreift, nicht verstehen will, daß der Kommunismus für eine Proletarierin die einzige Erlösung ist für Amerika und die Welt. Der Herr Doktor aus Passau sieht sich bei den Klassikern schon zu Lebzeiten, ihn schreckt ihr Realismus, das ist nicht die Emerenz, die ihm sein Vater einst empfohlen, das ist eine Bolschewistin, die nicht einmal studiert hat. Der Onkel Doktor übersieht bei seiner Ferndiagnose allerdings, daß die Emerenz, seine Emerenz sehr genau weiß, warum sie so denkt, wie sie denkt: Sie lebt in einem Elend, das er nie kennenlernen mußte. In Chicago war das Elend, das sie schon zu Hause gefühlt hatte, benennbar geworden, es hatte Ursachen: die Armut, die ausbeuterischen Unternehmer, die Vermieter, die ständigen Krankheiten.”
Diese geistige Entwicklung von Emerenz lässt nicht verwundern, dass ich im Internet als erstes auf der Seite www.kommunisten.de etwas über ihren 140. Geburtstag fand unter der Rubrik “Der Mensch geht vor Profit”. Das Jubiläum wurde aber auch in ihrer Heimat mit Veröffentlichungen und Veranstaltungen begangen.
Und wie ging es Emerenz in der Ferne? Ihr Talent glaubt sie versiegt. Sie liest zwar weiter deutsche Literatur und deutschsprachige Zeitungen und schreibt auch kleinere Sachen für sie. Aber der geliebte Wald ist weit weg, schweigt. In Emerenz’s Nachlaß finden sich ein paar Erzählungen aus Chicago, ohne viel Stimmung, ohne Lokalkolorit, harter Realismus.
Mein Schicksal
Ich war ein blühender, junger Baum,
Die Vögel sangen in meinen Zweigen.
Im Waldwind wuchs ich, ich sah im Traum,
Mich schon zu den weißen Wolken steigen.
Die weißen Wolken, sie wurden grau,
Wie unheilschnaubende Himmelspferde.
Es lenkte die schwarze Schicksalsfrau
Die wilde, vom Sturm gepeitschte Herde.
Es schlug der Blitz in mein junges Haupt,
Und furchtbar prasselten Schlossen nieder,
Gebeugt, gebrochen, zerspellt, entlaubt,
So sah mich der nächste Frühling wieder.
Ein toter Stumpf und nichts andres mehr,
So träum ich düstere Todesträume
Am grünen Hange, von Blumen schwer,
Da blühen und rauschen junge Bäume.
Ihr zweiter Mann Lindgreen stibt am 18. Januar 1925. Emerenz überlebt ihn um drei Jahre voller Verzweiflung und Krankheiten wie Wassersucht und Bronchitis. 1928 stirbt Emerenz Meier in Chicago im Alter von nur 53 Jahren. Auf ihren Wunsch verstreute ihr Sohn ihre Asche auf dem Grab der Eltern.
Heute ist ihr Geburtshaus in Waldkirchen-Schiefweg zu einem Emerenz-Meier- und Auswanderr-Museum umgebaut worden. Ein Verein hat es Anfang der 1990er Jahre gekauft und vor dem Verfall gerettet. Im Untergeschoss befindet sich eine Gastwirtschaft “Zur Emerenz”, die Grundschule in Waldkirchen trägt ihren Namen. Es gibt mehrere Bücher über sie, und eine CD mit vertonten Gedichten und auszügen aus ihren Briefen.
In Passau am Donaukai steht eine Emerenz-Meier-Büste, die 2008, also zu ihrem 80. Todestag, eingeweiht wurde. Das Denkmal steht nicht weit entfernt vom “Koppenwirt”. Also der Kneipe – heute Wohnhaus – die Emerenz einst bewirtschaftete. Den Platz am Wasser habe sie auch deshalb bekommen, weil sie von Rotterdam aus ihre Heimat mit dem Schiff nach Amerika verlassen hat. Als wir vorigen Herbst von Passau aus zu einer Donau-Tour aufbrachen, habe ich die wenigen Minuten bis zur Schiffsabfrahrt genutzt, um das Denkmal zu suchen und zu fotografieren. Dabei habe ich festgestellt, dass eine Angabe im Internet nicht stimmt. Emerenz schaut nicht zum Wasser. Wohl aber kehrt sie der Donau und dem Bayrischen Wald den Rücken. Der Sockel der Bronze-Büste ist aus Bayernwald-Granit gefertigt. Denn Emerenz hat zeitlebend ihrem Wald nachgetrauert, sich nach ihm gesehnt.
Wie stark sie sich dem Wald verbunden fühlte, zeigt nicht zuletzt ihr Bekenntnis “Ich bin des freien Waldes freies Kind”, das der Literaturwissenschaftler Hans Götter als Titel für sein 2008 erschienenes Emerenz-Meier-Lesebuch wählte und das auch meinem Vortrag die Überschrift gab.
Des freien Waldes freies Kind
Im freien Wald bin ich groß geworden. Auf Bergeshalden, wo der Böhmerwind, der übermütige, sich mit Tannen balgt.
Das Wild war mir befreundet im Revier.
Das Eichhorn floh nicht, wenn ich es beschlich.
Der Gayer sah froh kreischend auf mich nieder.
Da warf ich oft mich an die Brust der Erde und schrie und schwur:
Nie würde ich andere Fesseln dulden von irgendeinem, der aus Fleisch und Blut.
Nur keinen Herrn – und mag er sein wie immer.
Ich bin des freien Waldes freies Kind.
Noch ein kleiner Nachtrag:
Die hier zitierten und weitere Gedichte sind im Internet unter den Portal “Wortblume” nachzulesen.
Weiterhin entnahm ich die Fakten zu meinem Vortrag Den Büchern von Hans Göttler „… des freien Waldes freies Kind“. Inden Internetseiten der Bayrischen Staatsbibliothek, Von Wikipedia und RegioWiki, einer Bildungs-Sendung des Bayrischen Rundfunks aus dem Jahre 2013, Informationen von der CD “Emerenz Meier – out of Heimat” und der Home-Page des Emerenz-Meier-Haus-Vereins.
Dessen Vorsitzender Alex Nodes hat auf meine Anfrage folgende Zeilen geschrieben:
„Auf der homepage unsres Vereins (www.born-in-schiefweg.de) finden sie viele Infos und Details zum Thema. Daneben gibt es mittlerweile viel Literatur zu erwerben, angefangen mit dem Standardwerk von Dr. Hans Göttler, der die Gesammelten Werke I und II aller Emerenz-Schriften herausgegeben hat. Herr Göttler ist ein Freund unseres Vereins und würde sich bei einem Besuch Ihrerseits bei voriger Terminabsprache sicher zu einer Passauer/Schiefweger Führung bzw. Lesung für die Geraer Goethegesellschaft zur Verfügung stellen.
Die Büste in Passau wurde nicht von unserem Verein konzipiert, ist sehr gelungen und schaut meines Wissens deshalb nicht Richtung Bayerischer Wald, weil Emerenz durch ihre Auswanderung nach Amerika ja tatsächlich ihrer Heimat den Rücken gekehrt hat.
„Ihre“ Passauer Kneipe war der „Koppenjäger“ und ist nur ein paar Schritte von der Büste entfernt in einer Seitengasse zu finden. Das Haus ist heute ein Mehrfamilienhaus und eine Gedenktafel erinnert an Emerenz.
Mit der Hoffnung, Ihnen geholfen zu haben, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen
Alex Nodes, Vorstand Emerenz-Meier-Haus-Verein
Vielleicht nehmen wir ja die Einladung an und besuchen in einem unserer Ausflüge das Emerenz-Meier-Haus und den schönen Ort Waldkirchen.