Goethe Gesellschaft Gera e.V. » 5. Juni 2013 Vortrag von Hartmut Heinze

5. Juni 2013 Vortrag von Hartmut Heinze

erstellt am: 05.06.2013 | von: beke | Kategorie(n): Rückblick

„Goethe und China“ Vortrag von Hartmut Heinze, Berlin

Heinze nennt zunächst mehrere Autoren, die sich mit China beschäftigt haben: Wieland, der allseits Gebildete, mit seinem Werk „Der goldene Spiegel“, des Weiteren Brecht mit „Der gute Mensch von Sezuan“ in Anknüpfung an Wieland. Brecht: „Turandot oder der Kongress der Weißwäscher“. Hermann Hesse: „Das Glasperlenspiel“. Döblin. „Die drei Sprünge des Yan Lun“. Dieses Buch sei sehr zu empfehlen. Es handelt davon, wie Daoisten einen Aufstand anzetteln, auch gegen weltliche Priester. Sie meinen: „Die gesamte Natur ist ein Tempel.“ Auch der Konfuzianismus wird skeptisch gesehen. So wendet sich der Dichter Wu Wei mit seiner Aufforderung zum Nicht-Handeln gegen diese staatstragende Lehre.
Goethe hat den Buddhismus abgelehnt und teils auch den Daoismus. Die Welt erobern zu wollen, wird misslingen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang sein unvollendetes Trauerspiel “Elpenor”. Erkenntnisse aus gerade übersetzter chinesischer Literatur: Diese Menschen fühlen wie wir, und man fühlt sich bald wie ihresgleichen, nur dass es dort gelassener und müßiger zugeht. Auf diese Weise habe sich das chinesische Reich über Tausende von Jahren erhalten. Die Chinesen seien viel beständiger als Europäer. Intensive Naturschilderungen regten Goethe 1827 zu seinem Gedichtzyklus Chinesisch-deutsche Tages- und Jahreszeiten an. Typisch ist hierbei der Gedanke: Dauer im Wechsel. Dieses Ausbalancieren der Gegensätze ist das chinesische Prinzip des Lebens. Es handelt sich um 14 Gedichte, wichtig ist vor allem das achte Gedicht “Dämmerung senkte sich von oben…” Konfuzius kommt bei Goethe gar nicht vor, er kannte ihn nicht. Jedoch entsprech die konufianische Staatslehre eher seinem Denken, während er sich in seiner Naturauffassung mit dem Daoismus traf. Dem Buddhismus mit seiner Flucht vor den Leiden der Welt hat er allerdings nichts abgewinnen können, denn “Dasein ist Pflicht”. Dafür zeugen beispielsweise seine Verse aus den Chinesisch-deutschen Tages- und Jahreszeiten: “Nun denn! Eh wir von hinnen eilen,
Hast noch was Kluges mitzuteilen?“ Sehnsucht ins Ferne, Künftige zu beschwichtigen, Beschäftige dich hier und heut im Tüchtigen.”Der Zyklus entstand als Alterswerk im Gartenhaus an der Ilm. Es entstehen Bezüge zu Charlotte von Stein, zur Zeit Goethes mit Christiane, zu Freunden wie Knebel. Es entsteht eine Lebenssicht mit vielfältigen Facetten.
Dies trifft auch auf die Elpenor-Dichtung zu. Es gibt ebenso Bezüge von “Elpenor” zu Faust: Wie kann ich mit Schuld weiterleben? Goethe ruft die liebenden Kräfte der Natur auf. Sie bieten Faust Vergessen und neuen Lebensmut, seelische Gesundung. Daher folgt die Beschwörung der Naturgeister.
Dauer im Wechsel. Dies ist Gesetz und Forderung allen Lebens. Der Mensch solle sich daher auch nicht festhalten an allzu Positivem oder Negativem. Somit hat Goethe als erster Poet den Geist der chinesischen Weltanschauung nachgebildet.
Das Elpenor-Fragment entstand bereits 1783, doch bis 1860 kannte man es kaum, obwohl es schon 1806 veröffentlicht wurde. Elpenor ist der von Hoffnung Beseelte, Polymetes: der Kluge, jedoch Machtlose. Er kann den Prinzen von seinem Kriegsspiel nicht abhalten. Hier widerspiegelt sich der Konflikt Goethes mit Carl August, der dem preußischen Heer seine Dienste leistet.

Zum Gedichtzyklus “Chinesisch-deutsche Tages- und Jahreszeiten”: Das Leben im Einklang mit der Natur ist für den Menschen wohltätig. Die Gedichte führen diese Harmonie vor Augen. Die Motive sind zwar gegenständlich, richten sich aber auf die letzten Dinge. Sie charakterisieren sich durch ein Mindestmaß an Worten und Höchstmaß an Anschaulichkeit. Flucht ins ganz Private, Verlassen der menschlichen Ordnungen in natürliche Gefilde. Der symbolische Raum ist der Garten (an der Ilm). Das zweite Gedicht versetzt den Leser in diese Gartenidylle und seine Frühlingspracht. Aber es gibt kein Verweilen, denn der Sommer naht. Im dritten Gedicht wächst sich alles zur Hoffnung, zum Ausblick auf das erblühende Paradies. Der Eintritt des Sommers mündet in die Sonnenwendfeier. Die Gedichte vier und fünf sind durch das Pfauenmotiv charakterisiert. Ihr prachtvolles Gefieder erscheint als Abglanz einer höheren Welt im Gegensatz zum Hässlichen der indischen Gänse. Im sechsten Gedicht keimen Abschied und Sehnsucht auf Trotz Kuckuck und Nachtigall erweist sich das Leben als vergänglich. Diese Erkenntnis wird auf die Liebessituation übertragen. Auch hierbei verweilen Sehnsucht und Erinnerung. Das siebte Gedicht beschwört wieder die vergangene Einheit mit der Geliebten. Nicht Wehmut und Verzweiflung, sondern abgeklärte Besinnung treten auf den Plan. Im achten Gedicht tritt Dämmerung ins Bewusstsein. Die Vergänglichkeit des Menschen scheint klarer auf. Es wird Nacht, doch auch in der Nacht strahlt Licht: die Venus als Abend- und Morgenstern. Bereitschaft zur Entsagung dessen, was nicht festzuhalten ist. Doch “Nun tritt der Mond hervor”, seine Erscheinung weist von der Entsagung zur ewigen Geschäftigkeit des Lebens, zu dessen stetiger Verjüngung. Knsope und Sprösslimg weisen im neunten Gedicht auf das vegetative Gesetz hin, dem sich auch der Mensch beugen muss. Es wendet sich dem Warum und Wie zu. All dies wird in der Betrachtung der Rose sichtbar gemacht. Dem steht die Erkenntnis der Naturwissenschaftler gegenüber – ein wirdiges Geschwätz. Das zwölfte Gedich, das aus zwei Teilen besteht, bringt demgegenüber den Dichter ins Spiel. Doch der hat sich von der Realität entfernt (Selbstironie Goethes).
Der Rückzug in die Einsamkeit wird nicht empfohlen. Es bleibt die tägliche Tätigkeit und die Vermeidung der Sehnsucht ins Unzugängliche. Es bleibt, seine Pflicht zu erfüllen. Die Forderung des Tages sei nicht außer acht zu lassen. Sein Lied von der Erde endet nicht in der Nacht, sondern in der Aufforderung, die Sehnsucht in die Ferne zu beschwichtigen und sich hier und Heute im Tüchtigen zu bewähren.

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